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Initiation ins Dichten

Initiation ins Dichten

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Helmut Neundlinger liest das Gedicht himmel malen von Judith Nika Pfeifer

himmel malen


 rühm sagt die nacht ist nicht schwarz und der
 himmel nicht weich bleich oder so ähnlich
 und ich sage der himmel ist vielleicht k/ein baumwollmousseline
 und sainkho namtchylak sagt poets are not dying
 die nacht ist nicht schwarz sagt rühm they’re going
 sagt sainkho und der himmel ist kein reich sagt rühm
 und der himmel ist vielleicht alles und der himmel ist
 vielleicht nichts aber der himmel ist schön sage ich
 der himmel ist unsere erfindung sagt heinz von förster
 durchs-ich-blaublau-sichtig pink in mir ist ein
 anderer (als in anderen) nachthimmel violett schneebleich doch
 doch all die anderen himmel sobald du von nur einem
 sprichst auch wenn es sie nicht gibt so
 gibt es die anderen sobald du nur von einem
 und sainkho sagt poets are not dying
 they’re going und ide sagt ginsberg 
 sagt in jedem ist ein dichter drin
 vielleicht oder irgendso anders
 hat es geklungen glaube oder erfinde ich von einem punkt
 zum nächsten steckt ein försterklang
 im kopf die nacht ist nicht schwarz und die erde
 nicht unblau und rundum himmelserfindungen erfundene 

Judith Nika Pfeifers Gedicht „himmel malen“ ist ein auf mehrere Sprecherinnen und Sprecher verteiltes Gespräch übers Dichten. Abgesehen vom lyrischen Ich treten auf: „rühm“, „sainkho namtchylak“, „heinz von förster“, „ide“ sowie „ginsberg“, und alle Genannten geben Sätze von sich, die sich als Setzungen entpuppen, Lehrsätze im weitesten Sinn, allerdings solche, die das Gegenteil von Eindeutigkeit erzeugen: Negationen, Verschiebungen, voraussetzungsreiche Aphorismen, folgenreiche Affirmationen.

Zurück in die Schule für Dichtung

Mit der Autorin begeben wir uns (zurück?) in die Schule, und zwar in eine ganz bestimmte. Die genannten Personen sind bis auf den aus Wien stammenden Physiker und Kybernetiker Heinz von Förster (1911-2002) allesamt dem Lehrpersonal bzw. dem Umfeld der Wiener „schule für dichtung“ zuzurechnen. Hinter dem Kürzel „ide“ verbirgt sich der Dichter und Performer Christian Ide Hintze, der die Schule auf Anregung seines Kollegen Christian Loidl (1957-2001) in den frühen 1990er Jahren in Wien gründete und bis zu seinem Tod im Jahr 2012 leitete. Loidl hatte ihn mit der Idee inspiriert, nachdem er 1988 und 1990 die „Jack Kerouac School of Disembodied Poetics“ in Kalifornien besucht, jene legendäre Lehr- und Lernstätte für Dichtung, die 1974 von dem ebenfalls in Pfeifers Gedicht genannten Dichter Allen Ginsberg und der Dichterin Anne Waldman an der Naropa University in Boulder/Colorado gegründet worden war. Ab 1992 etablierte sich ein jährlich in Form von Klassen und Workshops stattfindender Lehrbetrieb in Wien, in dem prominente Autorinnen und Autoren ihre Kenntnisse und künstlerischen Ansätze vor allem an jüngere Schreibende weitergaben.

Erweiterter Poesiebegriff

Ebenso wie das Curriculum des Vorbildes aus Übersee stand und steht die „schule für dichtung“ für einen erweiterten Begriff von Poesie. Neben Dichterinnen und Dichtern im engeren Sinn wie H. C. Artmann oder eben Gerhard Rühm waren bald auch Musiker wie Nick Cave oder Falco zu Gast. Eine solche eher dem Grenzbereich zwischen Poesie, Performance und Stimmkunst zuzurechnende Lehrende ist die von Pfeifer im Gedicht zitierte, aus der Grenze zur Mongolei gelegenen autonomen russischen Republik Tuwa stammende Sängerin Sainkho Namtchylak (geb. 1957), die zu Beginn der 1990er erstmals auf Jazzfestivals in Westeuropa auftrat und mit ihren aus schamanistischen Traditionen stammenden Gesangstechniken wie etwa dem Kehlkopf- und Obertongesang für Furore sorgte. Ihr beim Berliner Label Free Music Production erschienenes Soloalbum Lost Rivers (1991) zählt zu den radikalsten Werken der frei improvisierten Gesangskunst. Seit dieser Zeit lebt Namtchylak in Wien und unterrichtet auch als Dozentin der „schule für dichtung“.

Lehr- und Lernbarkeit von Dichtung

Aber der Reihe nach: Der erste Lehrer, den Pfeifer in ihrem Gedicht zitiert ist, der 1930 geborene Dichter, Komponist und bildende Künstler Gerhard Rühm. Er gehört zum Stammpersonal des Lehrkörpers und unterrichtete bereits bei den ersten Zusammenkünften der „schule für dichtung“ Mitte der 1990er Jahre. Seine Interventionen als Lehrender standen schon damals für eine gewisse Strenge, einen Kampf gegen Beliebigkeit. Für Rühm war und ist das poetische Experiment immer auch die Konsequenz aus der Auseinandersetzung mit den eigenen Traditionen. In seinen Vorträgen verwies er immer wieder auf die sprachspielerischen Exzesse der Barockliteratur und zitierte Autoren wie Daniel Casper von Lohenstein oder Quirinus Kuhlmann, um der „Lehr- und Lernbarkeit von Dichtung“ ein historisches Fundament zu geben. Wenn Rühm der Nacht mit seiner durchaus schulmeisterlichen Vehemenz das Schwarzsein abspricht, dann tut er das, um den Blick der jungen Dichterin auf die im Metaphernfundus der Poesie gespeicherte Ungenauigkeit zu lenken. Pfeifer prüft ihren Lehrer sogleich mit einem Vorschlag, von dem sie selber nicht so recht zu wissen scheint, ob er tatsächlich zur Güte gereicht: „k/ein baumwollmousseline“ könnte der Himmel vielleicht sein.

Wechselgesang der Dichter*innen

Die Antwort des Dichter-Lehrers erfahren wir nicht, da das Gedicht gleich weiterspringt zur nächsten Lehrerin, der bereits vorgestellten Sainkho Namtchylak. Ihr Sprechen ereignet sich nicht nur in einer anderen Sprache, sondern verschiebt die Perspektive auch von Rühms skeptisch-analytischem Blick ins Metaphorische. Dass die Dichter nicht sterben, sondern gehen, lässt sich nicht anders als im übertragenen Sinn verstehen, und schon sind wir an der Seite der jungen Dichterin im vielstimmigen Strudel der „schule für dichtung“ gelandet, die alles versammelt, nur keine ästhetisch-weltanschauliche Eindeutigkeit. Es ist eine der nicht wenigen zarten Provokationen des Gedichtes, ausgerechnet diese beiden Kaliber in einen mehr oder weniger unmoderierten Wechselgesang zu versetzen und damit zwei Positionen zu verbinden, die fast alles trennt und doch wieder so vieles verbindet. So stur Gerhard Rühm in seiner Gelehrsamkeit zuweilen sein kann, so erstaunlich erscheint auch seine Fähigkeit, Fremdes, Irrationales, Unverständliches aufzusaugen und künstlerisch darauf zu reagieren. Ähnliches gilt wohl auch für Namtchylak, wenn sie die geschlossene Welt schamanistischer Gesangskunst mit Spielarten der ästhetischen Postmoderne verknüpft.

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Spieltrieb: In jedem ein Dichter

Als ob das nicht genug wäre, integriert Pfeifer in ihren „Lehrdialog“ auch noch den Kybernetiker und Mitbegründer des Konstruktivismus, Heinz von Förster. Gerade auf dem Feld der Poiesis erscheint es unmöglich, hinter seine Position zurückzufallen, die im Setting des Gedichtes lautet: „der himmel ist unsere erfindung“. Wie aber verträgt sich das mit Rühms rigoroser Absage an das „Schwarzsein“ des Himmels“? Und überhaupt die anderen — sind die nun wirklich oder nicht? Pfeifer macht das Beste draus und versucht sich an verschiedenen Himmelsdichtungen, bis ihr die Meisterinnen und Meister wieder ins Wort fallen — nun allerdings gütig, im Sinne einer fröhlichen Absolution oder besser Initiation: „in jedem ist ein dichter drin“, und unsterblich sind sie offenbar sowieso, the poets. Die Einweihungen in die Arbeit mit der Sprache zeitigen kräftigste Blüten, und im Fall von Judith Nika Pfeifer treffen sie auf einen nicht kleinzukriegenden Spieltrieb, der weit über die Vor-Schule der Spracharbeit hinausreicht.

Judith Nika Pfeifer: „himmel malen“ aus: dieselbe: nichts ist wichtiger ding kleines du. Mitter Verlag, Wels 2012, S. 68.

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