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Geckos einer Ausstellung

Geckos einer Ausstellung

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Stefan Schmitzer liest du Wundergecko von Astrid Nischkauer


Zuerst eine reine Äußerlichkeiten: Die Parasitenpresse hat scheint’s den Umschlagkarton für ihre „nummernlosen Bücher“ geändert. Dieser hier, in den Astrid Nischkauers neue Gedichte gehüllt sind, erinnert in der Haptik ungefähr an österreichische Schulbücher um 1990 – dünn, aber mit Wachskartonstruktur. Zum Lesen in der Badewanne eine deutliche Verbesserung.

Das Buch, das so gekleidet daherkommt, ist im Wesentlichen eine Sammlung von ungefähr achtzig Ausstellungsgedichten; nicht umsonst finden wir auf der Seite mit den Angaben zur Autorin auch einen Dank an den „KHM-Museumsverband sowie dem Kunstforum Wien“. Zwar geht es um die einzelnen Kunstwerke (und gelegentlich anderweitigen Exponate, wenn die Sprecherin beispielsweise von ausgestopften Enten im Naturhistorischen Museum handelt) – aber nicht einfach im Sinne kontextloser Meditation, sondern stets in Hinblick auf die Bewegung des Vorüberschreitens und Betrachtens im Kontext einer Hängung, eines Ausstellungsraums, dieser oder jener Nachbarschaft; kunstgeschichtliche Kontexte, Querverweise zwischen Bildern, nimmt diese Bewegung ebenso „mit“ wie Wahrnehmungen zur zeitgenössischen Ausstellungspraxis.

© Copyright Parasitenpresse

Es ist auch nicht so, dass egal wäre, wer da die Exponate betrachtet und passiert, sondern es existiert eine allen Texten gemeinsame Sprecherin – wir scheinen (ohne Gewähr) eingeladen, da ganz naiv die Autorin-selbst zu sehen –, und diese Sprecherin macht auch im Fortgang des Buches so etwas wie eine Entwicklung durch. Konkret: Zeit vergeht für sie. Konkreter: Die Zeit, die vergeht, vergeht im Lauf des Jahres 2020, und irgendwann ist also Corona-Lockdown, und die Museen schließen. Das ist dann das vierte der fünf Kapitel, passend überschrieben mit „betrachte die Bäume“, und es ist spätestens hier, dass wir die Bewegung der Betrachterin durch ihre Wahrnehmungen hin tatsächlich spüren – wenn sie nämlich für die Dauer von acht oder neun Gedichten, in Ermangelung eines Museumssaals, durch einen Park spaziert, als wäre er eine Hängung:

betrachte die Bäume
die von Tag zu Tag
mehr aufblühenden
Marillenbäume zu früh
viel zu früh denn bald
schon soll es wieder

schneien möchte ich
den Schmetterlingen 
zurufen doch sie und 
die Bäume hören mich
nicht jeden Tag springen
mehr Blüten auf ich hätte
nicht gedacht dass sie mir
so sehr fehlen würden
meine Freunde die Bilder
wie es wohl den beiden 
Katzen unter der Schale
mit Meeresfrüchten geht
so lange hatte es gebraucht
bis ich die beiden blitzenden
Augenpaare endlich entdeckte
und nun darf ich sie nicht mehr
sehen sie und all die anderen
auch nicht mehr es wird kälter sie
haben die Ausgangssperre um
eine weitere Woche verlängert
betrachte die Bäume die
Blüten der Marillenbäume:
die Marillenbäume gibt es
die Marillenbäume gibt es

Spätestens in diesem Gedicht, wahrscheinlich etwas früher – immer angenommen, man liest den Band linear von vorn nach hinten – bekommt „du Wundergecko“ als Ganzes eine Handlung (freilich stets zwischen den Zeilen). Wir stellen uns die sensible, sensibilisierte Ausstellungsgängerin Nischkauers im Lockdown ungefähr als eine Thomas-Bernhard-Figur vor, deren seelisches Gleichgewicht zusammen mit dem gewohnten Rhythmus ihrer dialoglosen Dialoge in Unordnung geraten ist und wieder der Stabilisierung bedarf. (Oder ist dieser spezielle Eindruck nur ein Artefakt des Settings in den Wiener Museen?)Die denkbare Kritik, man habe da eben eine Serie von Eindrucksgedichten, die uns, ganz ineinander verkapselt, eine Bewegung durch mehrerlei Kunsträume schildern (Alte Meister, Antikensammlung, Moderne Kunst, Zeug im Naturhistorischen Museum …), die uns auch erschließbare historische Kontexte und selbst eine kritische Einordnung einzelner Wahrnehmungen liefern … aber leider, das ruhe alles bloß in sich, bilde eben sich-selbst-in-seiner-Welt ab, verlasse die nicht und bleibe auch in der Auswahl des jeweiligen einzelnen Eindrucks wenig überraschend, das überschreite halt nirgends die sicheren Grenzen der eigenen ersten Grundannahme, sei, mit einem Wort, tautologisch – diese denkbare Kritik ist nicht ist vom einzelnen Text, sondern vom Ganzen her entkräftet: „du Wundergecko“ postuliert nicht den Ausstellungsraum als Welt, sondern die Welt als Ausstellungsraum, als Austragungsort ästhetischer Diskurse und Auswahlprozesse, und empfiehlt (scheint’s) den dazugehörigen Blick auf die Dinge als probater Modus von Weltaneignung. Und so wird denn auch eine Liste von Tiernamen zum (titelgebenden) Bild in der Ausstellung:

See Also

du Prachtelfe
du Wundergecko
du Feenseeschwalbe
du Bananenfröschchen
du Grunzer
du Kofferfisch
du Wasserblase
du Schmarotzerraubmöwe
du Malaiischer Stinkdachs
du Riesenfroschmaul

… und nur über das „du“ in diesen Zeilen wäre noch gesondert nachzudenken. Am besten bei Lektüre des Bandes.

Astrid Nischkauer: du Wundergecko. Gedichte. Parasitenpresse, Köln 2021. 102 Seiten. Euro 14,-

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