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Zwischen Stille und Aktion

Zwischen Stille und Aktion

Zur poetischen Bildmusik von Jan Erik Volds Träumemacher Trilogie (2019) von Michael Hammerschmid

Bei Jan Erik Volds „Die Träumemacher Trilogie“ handelt es sich um ein sehr aufwühlendes, zugleich meditatives und sehr freies Buch. Das erste von drei in dem Band versammelten Büchern in seinem Inneren ist mit „Zwölf Meditationen“ (2002) betitelt. Jedes der drei Bücher verwendet dabei dieselbe strenge lyrische Form(el). Sie besteht aus zwölf Zyklen zu zwölf in drei offenen Strophen gegliederten zwölfzeiligen Gedichten, die die Zeilen in ihrem Inneren überall und unerwartet brechen können, etwa auch mitten im Wort und sehr ungleiche Verslängen aufweisen.

Foto und Coverzeichnung mit Tinte © M. Hammerschmid

Das Aufregende an diesem Gedichtband besteht für mich darin, dass Meditation und Aktion in Jan Erik Volds Dichtung eng zusammen stehen, ja miteinander existieren. Es ist wie im Leben. Angesichts der Gedichte Volds lädt sich der einfache, vielleicht etwas abgeschmackt wirkende Satz, mit Substanz auf. Mit der Substanz der Gedichte, und das heißt ihrer Form, ihrer Bewegung, nicht zuletzt ihres Rhythmus’. Und dieser lässt sich als zutiefst musikalisch beschreiben. Etwas von seiner Musikalität konnte ich erfahren, als ich die Gedichte im Rahmen einer zweisprachigen Lesung mit Jan Erik Vold beim Lyrik-Festival Dichterloh in der Alten Schmiede gelesen, oder man müsste eigentlich präziser sagen, mit ihm gemeinsam musiziert habe. Nicht zuletzt das Dialogische, der Wechsel der Stimmen, ist auch in den Gedichten selbst angelegt. Im Raum der Alten Schmiede ging das geschriebene Wort gleichsam in sprechende Aktion über.

Würde man mich fragen, wo ich dieses Buch gelesen habe, so würde ich einerseits von der besonderen Stille der Lektüre erzählen (dazu später noch mehr), andererseits ganz besonders aber an diesen Moment des gemeinsamen Lesens erinnern. Ich habe das Buch gewissermaßen in diesem zweisprachigen Lesen, an jene Grenze begleitet (geführt?), wo es sich in Luft auflöst, ohne dabei aber an Substanz zu verlieren. Dieser Übergang aber, scheint mir, hat dieses Buch noch weiter dorthin gebracht, wo es kraft seiner Poetik ohnedies angesiedelt ist. Einerseits natürlich zu seinen Leserinnen und Lesern, die den Rhythmus der Worte akustisch-sinnlich erleben konnten. Andererseits in eine Art Leer- oder besser Zwischenraum, der für die Resonanz der „Träumemacher Trilogie“ ganz besonders charakteristisch ist. Der bei Kleinheinrich herausgekommene Band nimmt auf diese Leere auch in buchgestalterischer Weise Bezug. Das Weiß und die große Weite der Seiten bietet den Gedichten genügend Raum, um zwischen der weißen Stille und den Gedichten Beziehungen herzustellen. Dieser Raum ist auch, wie in der obigen Beschreibung ihrer Form bereits angedeutet, mitten in den Gedichten spürbar. Die Aufmerksamkeit gilt in ihr besonders den einzelnen Worten, Silben, Lauten, den einzelnen Wortfügungen und ihrer Chemie. Das Buch, mit weißem Einband, und seine Gestalt verwachsen hier mit der Poetik des Bandes. Die aus wenigen semantischen Tupfen und Bildern bestehenden Gedichte, geben viel Freiraum zur Imagination frei. Wer imaginiert, wird in diesem Buch selbst imaginiert. Es ist eine Art Bildertausch, die einem widerfährt. Das hat nicht zuletzt mit dem Magnetismus dieser Gedichte und ihrer Verwandlungsarbeit zu tun. Und dies meine ich in einem völlig unesoterischen Sinn.

Magnetismus, Verwandlung und der Ort der Poesie

Jan Erik Volds Gedichte ziehen alles Mögliche an. Aus dieser Offenheit gegenüber „allem“, ergibt sich seine heterogene Stofflichkeit. Sie besteht aus Intimem, Persönlichem und Allgemeinmenschlichem, aus Metaphysischem und Sinnlich-Physischem, aus Politischem und Unscheinbarem, aus Historischem und purer Gegenwart, aus Alltäglichem und Abstraktem.

Die Erfahrung, die man in Berührung mit den in den Gedichten eingelagerten Tönen und poetologischen Haltungen und Formen machen kann, lässt sich vielleicht als eine Art offenes Staunen beschreiben. Wobei vor allem durch Überraschung und Verwandlung stets etwas Ungewusstes erlebbar oder zumindest erahnbar wird. Für mich würde ich es vielleicht so formulieren: Ich bin ins Offene des Staunens gekommen, als ich Vold, hier an meinem Schreibtisch, erstmals gelesen habe.

ER WACHTE 
auf. Im 
gleichen 
Schlafanzug, doch 

mit einem neuen 
Namen. 
Oder 
ohne Schlafanzug 

im 
gleichen 
Bett. Der Heizkörper in der Ecke 
brummte. 

In wen hat sich dieser „ER“ verwandelt? In den einzelnen Gedichten des Zyklus zeichnet sich, schwirrend, etwas wie eine Erzählung ab. Auch dorthin gehen die Gedichte Jan Erik Volds, auch dort, in die Erzählung, ziehen sie einen, locken sie. Und wie liest man diese Gebilde? Stockend, abgehackt? Oder flüssig? Denn zweifellos entsteht eine Spannung zwischen diesen beiden Polen, zwischen dem Stockenden und dem Flüssigen. Zwischen stehenbleiben und gehen, Stille und Laut. Das macht die Grundspannung der Poetik dieser Gedichte aus. Und wo ist man, wenn man diese Zeilen liest? Wo und wie ist man? Ist man im „Schlafanzug“? Im „gleichen“? Oder doch „mit einem neuen / Namen“?? „Oder / ohne Schlafanzug // im / gleichen / Bett.“ Ich komme an dieser Stelle ins Schmunzeln. Es steckt ein leichtfüßiger, aber auch tiefer Humor in diesen Zeilen. Wo immer man diese Gedichte liest, wird man an einen anderen Ort versetzt, und doch durch das Brummen „der Heizkörper in der Ecke“ wieder zurück auf den Boden geholt. Was ist das für eine Erfahrung, die man hier macht? Könnte man sie ganz schlicht und einfach als die Erfahrung der Literatur bezeichnen?

See Also

Lesen zwischen Bruch und Fluss

Der Zyklus aus dem dieses Gedicht stammt, heißt übrigens „Der Text der Nacht“. Es ist der dritte Zyklus von „Das große weiße Buch“ (2011). „Das große weiße Buch“ ist das zweite Buch in der „Träumemacher Trilogie“. Und so finden die Gedichte selbst im Gedichtzyklus ihren Ort, und organisieren sich gleichsam in der Logik der 12 und ihrer Variationen. Während der tatsächliche Ort, an dem ich diese Gedichte erstmals gelesen habe, mein Schreibtisch, sich beim Lesen in andere Orte, nämlich die der Worte und Bilder und Klänge und der mit ihnen verbundenen Erfahrungen verwandelt hat und für die Dauer des Lesens nahezu verschwunden ist. Während ich mich an die Lesung mit Jan Erik Vold sehr lebhaft erinnere, wo der Ort ein gemeinschaftlicher, ein öffentlicher war, obwohl ich während der ZOOM-Lesung zuhause saß. Wo war ich da? Und wo war Jan Erik Vold? Wo waren wir, während wir lasen? Wir waren nicht da und nicht dort. Wir waren ein Stück mit der Sprache unterwegs, wohin sie uns auch immer führte. Auch an das Video, das ich danach noch einmal ansehen konnte, erinnere ich mich. An die Ästhetik des ZOOM-Videos, an das Erbärmliche daran, das mir im Rückblick fast schon wieder allzumenschlich erscheinen mag. Und wie ich versuchte, den Grat zwischen Bruch und Fluss zu gehen, und wie Jan Erik Vold versuchte, diesen Grat zu gehen, wobei seine Stimme sehr leise war und wie ein verzaubertes Murmeln klang, erinnere ich mich. Ich konnte seine Sprache, das Norwegische, nicht verstehen. Aber ich konnte, weil sie dem Deutschen in vielerlei verwandt ist, manches erraten. Es war ein ratendes, intuitives Zuhören. Auch dieses Hören war eine Art Ort, der sich im Lesen permanent verwandelte. Es war eine Art fortwährendes horchendes und lesendes Sich-Verwandeln, eine Art Musik, die nach Mustern ablief, die mir weitgehend unbekannt waren, weil mir das Norwegische unbekannt ist, die aber durch die spezifische Form der Gedichte – und wohl zusätzlich durch die intersprachlichen Strukturen des Deutschen und Norwegischen, ja von Sprachen generell – Beziehung stiftete. Beziehung als eine Art Rhythmus der Sprache verstanden. Eine Art Verstehen an einer Schwelle, eine Art Musik an ihrer Schwelle. Und ich konnte sehr gut nachvollziehen, warum die Dichtung Jan Erik Volds, den häufige gemeinsame Auftritte mit namhaften Jazz-Musikern auf die Bühnen zahlreicher Städte führten, so geeignet für musikalische Performances ist und dass er, wie sein Übersetzer Walter Baumgartner im Nachwort der Trilogie schreibt, „berühmt für seine Fernseh- und Festivalauftritte und Jazz&Poetry CD‘s“ ist.

Im Netzwerk der Poesie und eine kleine Nicht-Interpretation

Der 1939 in Oslo geborene Jan Erik Vold, lernt man in diesem übrigens sehr vielschichtigen Nachwort, ist ein Dichter von großer Popularität. Und ich denke hierzulande konnte eine solche, von Erich Fried abgesehen, vielleicht noch Ernst Jandl (und ohne Nachfolge) für sich und seine Poesie verbuchen. Und auch für Ernst Jandl spielte der Jazz und das Auftreten mit Musikerinnen und Musikern bekanntlich eine eminent wichtige Rolle… Dass Jan Erik Vold außerdem auch viel übersetzt hat und übrigens von Walter Baumgartner in einer beeindruckenden rhythmischen Stimmigkeit übersetzt wurde, bringt mich wieder auf das vorhin angeschnittene Thema der Verwandlung. Verwandlung von Stille in eine andere Stille, von Pausen in Klang und wieder in Pausen, Verwandlung von Worten in Bedeutungen und weitere Bedeutungen, wie sie auch der Übersetzer zu bewerkstelligen hat. Robert Creeley und Samuel Beckett gehören beispielsweise zu den von ihm übersetzten Autoren. Robert Creeley und seine schlanken Gedichte. Ich sehe ihre Gestalt in der ganz eigenen Textgestalt der Vold’schen Gedichte. Und Samuel Beckett, auch Samuel Beckett höre ich und muss ganz besonders an dessen Mirlitonnade (wörtlich in etwa: Flötentöne oder Trötentöne) denken. Jan Erik Vold:

UNTERWEGS 
ins Dunkel, unter 
wegs ins 
Licht - wer? Kein Gesicht

aber ein 
Körper. Kein 
Körper aber ein Rücken. Die 
die. Er der. Es das 

weder 
schweigt 
noch 
spricht.

Ich kommentiere dieses Gedicht nicht. So wie es nötig ist, auch in Kommentaren und Interpretationen von Gedichten, nicht zu kommentieren und nicht zu interpretieren. Auch das eine Erfahrung, die man mit Gedichten machen kann. Und das eine Erfahrung, zu der diese Gedichte von Jan Erik Vold besonders auffordern. Es sein zu lassen. Die Gedichte Gedichte sein zu lassen. Und doch, wir wissen es, wir imaginieren und phantasieren. Es phantasiert, es imaginiert. Es geht etwas vor sich, zwischen uns und dem Gedicht und umgekehrt. Es ist der zauberhafte Vorgang der Berührung mit Sprache. Und stellen wir uns Jan Erik Volds Gedichtsprache im Dialog mit der Musik von Chet Baker, Jan Garbarek, Red Mitchell oder auch Bill Frisell vor, mit denen er aufgetreten ist. Und stellen wir sie uns ohne nichts vor. Leise gelesen, an irgendeinem Ort, in irgendeinem Moment. Und wieder tut sich ein neuer Raum auf, von dem diese Gedichte erzählen, und dem in gewissem Sinne auch etwas Fernöstliches anhaftet. Walter Baumgartner erinnert auch daran, dass die japanische Haiku-Dichtung von Einfluss auf die „Träumemacher Trilogie“ gewesen sei. Und wie sieht es mit dem Amerikanischen aus? Mit dem Östlichen? Westlichen? Westöstlichen? Wir kommen ins Schwirren. Es schwirrt in diesen Gedichten. Einflüsse schwirren, wenn sie mehr als Einflüsse sind. Und wie sieht es umgekehrt, mit dem Einfluss von Jan Erik Volds Lyrik auf die österreichische Dichtung aus? Resonanz hat sie hier vermutlich noch keine oder kaum eine gefunden… doch wer weiß… und übrigens: Margret Kreidl hat in einer Der Hammer-Ausgabe erfreulicherweise einen feinen, man könnte vielleicht sagen: inneren Dialog zur Träumemacher Trilogie geschrieben! Und wer sich nun vielleicht daran erinnert. Jan Erik Vold hat die Tagebücher Ruth Meiers herausgegeben, die eine dunkle Spur zwischen Norwegen und Österreich während des Nationalsozialismus offenlegen. Sind sie neugierig geworden? Möchten Sie Ruth Meier Tagebücher und Jan Erik Volds Dichtung nun selber lesen? Es sei Ihnen mit diesem kleinen Aufsatz sehr ans Herz gelegt.

Cover Vold Jan Erik Träumemachertrilogie

Jan Erik Vold: Die Träumemacher Trilogie. Aus dem Norwegischen und mit einem Nachwort von Walter Baumgartner. Kleinheinrich Verlag 2019, 320 Seiten, Euro 35,-

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