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Chanson Madcase Nr. 1

Chanson Madcase Nr. 1

Rhea Krčmářová

Chanson Madcase Nr. 1

Nahandove, ô belle Nahandove!
L’oiseau nocturne a commencé ses cris,

verschwurbelt 
jeder einzelne meiner Anfänge
von Anbeginn der bekannten Welten
bis 
zum jetzigen 
zum 
allermeisten Punkt

vermessen 
verdrahtet
jeder einzelne Herzschlag
den ich mir nicht 
vom Oberarm reißen kann

ist es das Dach
auf dem ich mich befinde
moosfeucht und 
ziegelglatt 
wälzt es sich
unter meiner 
sich auflösenden Sohlenwärme und
sie lauern unten
und
ich habe mich aufgemacht
Blutdruck wie ein Ballonlampion
steigend brennend und immer schwebend
auf mich herab
die sich aufgemacht hat
um oben zu lauern
​
aber ich lausche nicht 
ich warte
sitze
singe
unwiederbringliches

La pleine lune brille sur ma tête.

wenn es Nacht ist
und es ist Nacht
lasse ich mich fallen
lasse ich mich lösen
lasse ich mich 
gar nicht mehr zurückgehalten sein
und die Ruhe
nach der ich 
vielleicht 
suche
wird wieder mein unzerstörtes 
mein unersetztes Zimmer sein 

ich habe längst vergessen wie 
es denn vor sich gehen soll
dieses Ausruhen unbekannt
m einen Puls 
in die Karteikaten eintragen lassen
freiwillig
dann nichts als die Neugier auf das
was noch zu erwarten wäre

warum bin denn ich immer nur dort anzutreffen
wo es am höchsten ist
wer den steilsten Pulsschlag erreicht hat
​die 
nennen sie ausgebrannt
aber 
direkt hinter 
dem Grenzgebiet 
hinter der letzen Asche geboren 
liegt das
wo es dann wirklich 
unbeschreibbar
zu werden beginnt
nicht
und ich immer nur in aller Theorie dort
bis zum Jetztpunkt
hier

bin ich unentschlossen verstimmt
grundleer endfern müde
getrieben 
von mir selbst und all dem anderen
zum Weinen gebaut
die Tränen versperrt
die Wangen gespiegelt
oder 
bin das nur ich als 
gesammeltes gesamtes

einmal gestern immer
da war es noch nicht Nacht
da habe ich den Punkt 
gesehen
hinter dem
und knapp über Horizont 
den einen eigenen Augenblick
hinter dem es nicht mehr weitergehen wird
es gibt ihn
Fläche Ende Punkt und
jetzt weiß ich wieder 
wer ich bin

die Welt wie wir sie kennen ist 
tatsächlich endlich
wer hätte das gedacht
sich
in sämtlichen antwortlosen Stunden
du Punkt du Tor du Fläche du 
rückkehrloser Wendewinkel
bin auf dich zugefallen
durchgestürmt
durch dich
hineingeflogen worden
hirnüber durch das Kliniktor
und alles war wie immer
nur eben nicht

Verstand gefunden 
mag ihn jemand
möchte ihn jemand 
zurück

bin ich zu wenig berührt worden
oder wenig genug

nichts definiert mich flüchtiger 
als
die verstorbene Blume über meiner Stirnen
zwischen allen Ohren
wir alle müssen uns mit irgendjemandem schmücken
nicht
​
ich würde zum Stift greifen wollen
zu Papier
hier auf dem Dach über den Dächern
falle oder ich springe nicht das 
was will da schimmern unter mir
als
des Trabanten kraftberaubte Reflexionen
erdacht vom elendigen matten 
Abglanz der Sonnengeflechte
meines eigenen Mittelpunkts 
meines Universums
was ich hier rede und
wer singt hier überhaupt

wenn laut und leise nie mehr sind 
als 
Gedankenspielereien
werde ich mich wieder 
gefunden haben wollen
aber dann 
verliere ich die Nacht
das Schweben über dem Dach hier
und die Möglichkeiten

am Anfang hast Du mich verwundert
verwundet
mein kleiner schelmischer Erdpunkt 
Endpunkt du
hinter dem es
kein wirkliches zurück mehr geben will
nur eine Rückkehr als
befleckt sich wissende
für eine auf immer unbestimmte Zeit

Arrête, ou je vais mourir.
Meurt  on de volupté?

würde ich jetzt schweben
wäre alles im Gefüge
in der Norm
aber ich sitze nur und 
wachwandle
lasse mich anfeuern 
anstecken
vom niemand
die ich einmal war
erst einen Arm strecken
ausbreiten
festkabeln lassen
dann einen anderen den man findet
vielleicht
hat mir der Punkt eigentlich 
alle meine Glieder wieder überlassen
hat er mich zurückgegeben
oder 
zumindest meine Einzelteile
ungewollt, vielleicht und
zusammenzufügend
zu mir selber

man redet
von Essenzen
ich auch
die Stimme von wem auch immer 
nur heimliche Hintergrundmusik 
ab dem einen Punkt 
ist nichts mehr ohne Schall
aber ich glaube
die alte Ruhe 
fehlt mir nicht

in ihren Zauberbüchern 
haben sie alles eingetragen 
über mich
mein kleiner Rest 
klammert sich 
noch 
an alles was ich einmal wollte
alles andere
möchte gleiten
geglitten werden hinüber
hirnüber
schweben 
durch das mir wohl tuende Unklar
dass ich mir an Morgen und Abenden
verschreiben lasse
der Tross nickt und 
der Schreiber klickt
und der Wahn zieht weiter

und ich dann hin 
zum höchsten Punkt
zum Endpunkt wo 
die Definitionen nicht mehr gelten
wo ich mich nicht mehr hinterfragen
können werden muss
es ist süß zu ruhen
Licht zu hören zu schlafen
aber seit wann gibt es denn 
diese willkürliche Wand zwischen dem Wachsein und 
dem sich entfernen
kann ich mich anvertrauen
wenn doch alles
was ich eigentlich zudecken wollte
ohnehin schon 
tief unten
unter meinen Füßen ist

Et je vais languir dans les regrets et les désirs;
Je languirai jusqu’au soir;

nichts kann nur mir hier passieren
nichts wohin ich auch greife
Luft Grund Abgrund Abkehr
ein guter Anfang das

(Textfragmente, französisch: Évariste de Parny, Chansons madécasses)

Zuletzt erschien von Rhea Krčmářová: Böhmen ist der OzeanErzählungen. Kremayr & Scheriau, Wien 2018. 208 Seiten. Euro 19,90

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