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Shoppingcenter im Ei

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Lukas Meschik liest Aušra Kaziliūnaitė: Feiertags Makeup als Winterlektüre


Aušra Kaziliūnaitė, geboren 1987, ist eine junge Stimme der litauischen Lyrik. Ich könnte nicht behaupten, mich jemals mit litauischer Lyrik im Speziellen oder seiner Literatur ganz allgemein auseinandergesetzt zu haben, wahrscheinlich habe ich noch keine Zeile davon gelesen. Das neue Buch dieser Autorin mit unaussprechlichem Namen trägt den Titel Feiertags Makeup, wurde von Markus Roduner übersetzt und erschien im Berliner KLAK Verlag. Untergekommen ist es mir bei einer Veranstaltung der Österreichischen Gesellschaft für Literatur in der Wiener Herrengasse, die Literaturkenner Katja Gasser und Cornelius Hell stellten im Rahmen ihrer LESE.AUSLESE persönliche Favoriten unter aktuellen Neuerscheinungen vor. Hell brachte Feiertags Makeup mit und las begeistert daraus vor. Ich weiß noch sehr genau, welches Gedicht. Nämlich:

der mond ist eine tablette

der mond ist eine tablette
mit einem grübchen
in der mitte

die wut ist eine tablette
mit einem grübchen
in der mitte

die mindaugas-brücke ist eine tablette
mit einem grübchen
in der mitte

…

die frau die du liebst ist eine tablette
mit einem grübchen
in der mitte

die horde cops die den hund der demonstranten verprügelt
ist eine tablette
mit einem grübchen
in der mitte

…
Cover "Feiertagsmakeup" von Aušra Kaziliūnaitė

Beim Zuhören habe ich sofort meine Ohren gespitzt. Das Gedicht zeigt exemplarisch, was den Reiz dieser frischen, aufgeweckten, aber auch düsteren Lyrik ausmacht. Darüber wollte ich mehr wissen. Neugierig geworden, erstand ich im Anschluss ein Exemplar – als Geschenk. Der Band befindet sich nicht in meinem Besitz, sondern gehört meiner Lebenskomplizin, im gemeinsamen Haushalt habe ich erfreulicherweise Zugriff darauf. (Wie Homer Simpson seiner Marge schon mal eine Bowlingkugel zum Geburtstag schenkt, so ist es sinnvoll, einander Bücher zu schenken, die man auch selbst gerne lesen würde.) 

Einige der darin enthaltenen Gedichte las ich ihr fasziniert vor. Weil wir darin für meinen Geschmack nicht schnell genug vorankamen, verschlang ich den Rest eines Tages voller Ungeduld allein. Schließlich musste ich dringend herausfinden, was es mit dieser oft so unschuldig daherkommenden, sich dann als garstig und brutal erweisenden Poesie denn auf sich hat.

Lakonische Zeitreise

Bei Feiertags Makeup haben wir es mit einer Zeitreise zu tun, versammelt der Band doch Gedichte aus vierzehn Jahren. So erhalten wir Einblicke in Kaziliūnaitės fünf bislang erschienene Bücher: Da ist kein Meer (2021), Ich bin abgeblätterte Wände (2016), Der Mond ist eine Tablette (2014), 20% Konzentrationslager (2009) und Das erste litauische Buch (2007). Mit dem Sammelband wird sie sozusagen dem deutschen Markt vorgestellt. Die Entscheidung, in der Gegenwart zu beginnen und dann in der Zeit zurückzureisen, ist klug, genauso wie jene, den neueren Gedichten mehr Raum zu geben als den alten. Wie immer sind die künstlerischen Anfänge kryptischer, verrätselter, bewusst unverständlicher, deshalb aber nicht besser. In den aktuellen Gedichten ist Kaziliūnaitė ganz bei sich, bekennt sich zu Klarheit und Einfachheit in der Sprache, findet unverbrauchte Bilder, die Rätsel entstehen auf der Inhaltsebene. Oft beginnt sie in einem beschaulichen Alltag, den wir alle kennen, der unser eigener sein könnte, und führt dann plötzlich einen Fremdkörper ein, reißt diesem Alltag die Maske herunter und entlarvt unser Leben als Groteske, in der alle brav mitspielen.

See Also

das omelett

ich wollte ein omelett backen
schlug ein ei auf
dann das zweite
im dritten entdeckte ich einen schmutzigen jungen

er saß da ohne eltern, allein
im shoppingcenter
und hatte eine schachtel bei sich

ich prüfte, ob niemand mir zusah
und machte weiter
mein frühstück

Seltsam normal

Wie jede gute Literatur stellt auch diese mehr Fragen, als sie Antworten gibt. Ein solches Gedicht behält sein Geheimnis, ich verstehe nur Bahnhof. Da entdeckt also jemand in einem Ei einen Jungen – ein unfertiges Küken mag dem einen oder anderen schon untergekommen sein. Aber wie sitzt der Junge denn plötzlich in einem Shoppingcenter? Und was ist in dieser verdammten Schachtel, die er bei sich trägt? Im Ei schlummert ein ganzes Universum. Die Protagonistin des Gedichts scheint all das kaum zu interessieren und nicht im Geringsten zu verstören, ihr ist lediglich daran gelegen, dass sie niemand dabei beobachtet, wie sie diesen Wirklichkeitsbruch seelenruhig übergeht und weiter ihr Frühstück zubereitet. Beim Gedanken, wie der Junge zum Omelett wird und jemand es sich genüsslich in den Mund schiebt, dreht es einem den Magen um. Viele der Gedichte folgen dieser verqueren Logik, die eine Traumlogik ist. Und ja, es kann gut sein, dass sich die Autorin solche Szenarien aus ihren unverständlichen Träumen zupft. Schön ist der lakonische Ton, mit dem das Unbehagen und die Seltsamkeiten übergangen werden – all das ist seltsam normal.

*

falls ich im gehen die hände verliere
dann heb sie nicht auf, lauf nicht zu mir
und streck sie mir nicht entgegen
sie waren ganz einfach zu schwer
zu schwer waren sie
das war’s

du kannst sie nach hause mitnehmen
den christbaum damit schmücken
die streunenden katzen rührn sie nicht an
zu schwer, zu schwer
waren sie

...

Aušra Kaziliūnaitė: Feiertags Make-up, Berlin 2024, KLAK Verlag, Euro 15,00

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