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sollte ihnen gerade nach sprache sein

sollte ihnen gerade nach sprache sein

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Alexander Kluy liest Patricia Mathes’ im grunde sprichst du schon


Das ist schon außergewöhnlich. Da legt die 1994 in Mödling geborene Patricia Mathes, die nach längeren Arbeitsaufenthalten in Frankreich und in Wales heute wieder in Wien lebt, wo sie einst ihr Lehramtsstudium Englisch und Französisch absolviert hatte, ihr Buch-Debüt vor – und der Band hat 184 (!) Seiten. 

Cover © Edition Keiper

Wann stieß man zuletzt auf ein so umfangreiches, ein derart viel Produktivität wiedergebendes Premierenbuch?! Man blättere nur ein wenig in die Literaturhistorie der deutschen und österreichischen Moderne zurück und finde, als waghalsig punktuelle Auswahl: Günter Kunerts Debüt „Wegschilder und Mauerinschriften“ – 96 Seiten; Friederike Mayröckers Erstling „Larifari“ – 50 Seiten; Johannes Bobrowskis „Sarmatische Zeit“ von 1961 – 86 Seiten; Ernst Jandls „Andere Augen“ – 62 Seiten; Ingeborg Bachmanns „Die gestundete Zeit – 66 Seiten; und Christoph Meckels Debüt „Tarnkappe“ – gar nur sechs Seiten.

Worte und Bilder

Woraus Gedichte gemacht sind, das nimmt Patricia Mathes, die vorher an nicht wenigen poetisch realen wie lyrisch digitalen Orten Gedichte publiziert hat, in im grunde sprichst du schon wörtlich. Sie umkreist Worte, sie umwandert Sprache, sie belauert klug wie sensitiv den Gebrauch von Sprache, ihren Einsatz, ihre Verwendung, ihre Verwundungen, ihre Kehren und Umkehrungen. Sie schreibt nicht gegen Regelhaftigkeit an. Sie schreibt für – für sich, für neue Regeln, für uns. Dort, wo gesprochen wird (und das Gesprochene hinübergehoben wird in Geschriebenes, in Aufgeschriebenes), muss es um Beziehungen gehen. So auch hier. Es geht um die Beziehung von Natur und Umwelt, von Menschen zu Menschen. Es geht um Menschliches und es geht um menschliche Existenz Auslöschendes, den Tod.

Doch weit entfernt von formal marmornem Erstarren, auch vor der Historie, sind Mathes’ Gedichte. Sie sind stattdessen luftig, luft- wie lustvoll artistisch-akrobatisch und minuziös gefugt, ohne sich dabei einzuigeln. Es findet sich eigentlich nicht ein einziges Poem unter den wahrlich nicht wenigen dieses Bandes, bei dem man geneigt wäre, zögernd-zögerlich, ein Wort, höchstens ein Wort zu ändern. Immer wieder findet Mathes starke Bilder: „in den stein // der in dir nistet / den mittagsschlaf / eingravieren / in der schneise / seines fallens“.

Mathes greift zu vielen Mitteln, nicht zuletzt auch zu feinem Humor und zu Ironie, und hantiert mit diesen extravagant-souverän. Im zweiten Kapitel beispielsweise sind die Gedichte längs, hochkant gesetzt, so dass der Band um 90 Grad zu drehen ist. Während des Drehens und verschobenen Lesens stößt man visuell darauf, dass es sich hier um Akrosticha handelt, das heißt, die jeweils ersten Buchstaben einer Zeile ergeben ein Wort. Späterhin, in der Sektion „nach wort“, dreht sie neuerlich beschwingt den Satzspiegel und übt sich hier in der noch rareren Form des Telestichons. Dabei ergibt jeder letzte Buchstabe, untereinander gelesen, ein Wort. Und in der letzten Sektion, „vor wort“, sind dann die Wörter gänzlich von Linien umgeben, vulgo: eingekastelt – als sei man in einem Domino-Anlegespiel oder habe zufällig, oder auch nicht zufällig, Hans Magnus Enzensbergers kleine hintersinnige Schrift Einladung zu einem Poesie-Automatengeschenkt bekommen.

im grunde sprichst du schon
denkst nur
in der gleichen stille das wort aus
dir aus
wie die stille
in dir
die sich im grunde doch stimme
mit der stille
die stimmlos darin vielleicht spräche
verzweigt

Spiel und Regeln

Mit großer verführerischer Lust führt Mathes mit leichter Hand vor, wie mit Worten zu spielen ist. Da gibt es bildstark Fast-Imagistisches, das linguistisch-zirzensisch daherkommt: „manchmal / setzt sich / ein zeichen / so spät / dass es sich / zur falschen / jahreszeit erlaubt / / es dann zu ernten/ ist verboten“. Da gibt es Lakonisches, das an Erich Fried an seinen allerbesten Tagen gemahnt: „nur eine frage der zeit / bis sich die antwort darauf / mit der zeit / zur gleichen frage darin / auf / löst“. Wie es andererseits Verse gibt, die an Abzählmechanismen erinnern. Und es gibt grammatikalisch wie syntaktisch Destruiertes. Wieder andere Gedichte atmen den Geist einer Sarah Kirsch. 

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Buchcover: "einüben ins aussterben" von David Hoffmann

Durchgehend wird hier mit Sprache agiert, auf Sprache reagiert, mit Worten gespielt. Helwig Brunner, der Reihen-Herausgeber, zitiert in seinem knappen Nachwort Mathes’ Mitteilung, dass hinter jedem Poem im Band eine Redewendung oder ein Sprichwort stehe. Feinsinnigerweise ist dieser erklärende Satz der Autorin, den Brunner zitiert, aber in seiner Ausführung um ein Haar zu kurz antippt, in Kleinbuchstaben geschrieben.

Ein stupendes, ein beeindruckendes stil- wie bildsicheres Debüt ist Patrica Mathes’ im grunde sprichst du schon. Sollte Ihnen gerade nach Sprache zumute sein – dann ist dieser Band die Lese-Empfehlung.

„sollte ihnen gerade nach sprache zumute sein
nehmen sie stattdessen einen stift und
fotografieren sie damit
den boden
ihrer stimme
dauerhaft
mit zeichen
auszusäen sie
von ausgemusterten
teilen von welt
zu beleben vielleicht
sucht sich die luft
in ihren grenzen doch
nur sichtbarkeit
zurück
auf ihrer zunge
schicken sie uns
von ihrem wort doch
eine zeichnung“

Patricia Mathesim grunde sprichst du schon. edition keiper, Graz, 2025. 184 Seiten. Euro 16,95

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