David Hoffmann liest Sina Klein: skaphander als Sommerlektüre
24 (panik) pálinka, das herz, die pinke nacht: auf uns ist kein verlass, wir sind gemacht aus eskapismus. trink mit mir, sonst wird das märchen noch ganz blass, sonst sinkt der puls, komm szívem, wir beschließen einen pakt. [Seite 47]

Zufällig stieß ich diesen Sommer in einem Berliner Bücherregal wieder auf den Gedichtband skaphander von Sina Klein. Auf der ersten Seite sah ich sofort eine blasphemische Widmung. Blasphemisch, weil sie nicht von der Autorin stammte. Dort stand in einer Handschrift, die ich als die meine wiedererkannte: „Für B., auf das gemeinsame Untertauchen.
Cover © Klever Verlag
David, Dezember 2018.“ Bücher, die geschenkt werden, gehören gewidmet, dachte ich mir, und zwar von der schenkenden Person, Ausnahmen sind natürlich signierte Werke. Ist eine Signierung aber nicht vorhanden, braucht ein geschenktes Buch eine Widmung, damit wir wissen, von wem an wen, immerhin sind sie mehr als ihr Inhalt. Als Objekte erzählen zugeeignete Bücher Geschichten von Begegnungen, Freundschaften, Liebe und all den anderen zwischenmenschlichen Dingen. Daher gehören Widmungen rein. Ganz einfach. Alles andere folgt verwertungskapitalistischen Dogmen und die gehören umtaucht. Aber die Geschichte, die dieses Objekt (Buch) erzählt, ist weitaus mehr als eine persönliche Zueignung in Berlin.
Wenn ich in skaphander lese, möchte ich mein Gehirn über die Gedichte stülpen, aber kaum, dass ich sie zu fassen glaube, sie vor mir habe, werde ich unter Wasser getaucht, bin in einem Skaphander, einem „Schutzanzug für extreme Druckverhältnisse“ (Seite 5), und verliere kurz den Sinn für das Oben und Unten, bin zwischen den Kapitel gefangen, die sich wie ein Mantel um die Mitte legen – skaphander, elektroauslässe, schier, auslotungen, schier, elektroauslässe, skaphander –, eine Mitte, in der Zitate (Aufgeschnapptes?) mit Koordinaten versehen sind, die sich nach kurzer Recherche als Orte im zweiten Wiener Gemeindebezirk entpuppen. Dem Druckausgleich, einem Spiel zwischen Innen und Außen, an der Schwelle zwischen hauchdünnem Leben und tödlichen Kräften, kommen mir sodann Erinnerungen an den Sommer 2017. Daran, wie die Autorin Sina Klein mit ihrem damaligen Partner eine Gruppe junger Dichter*innen für einen Lyrik-Workshop nach Lenti in Ungarn entführte. Dort entstand eine vorübergehende Arbeitsstation, welcher der Lyriker Bernhard Saupe den Namen „Lenti Labor“ verlieh. Zwischen Lagerfeuer und Pálinka besprachen wir unsere Gedichte, kritisierten, formten und entwickelten.
Neben Sina Klein, ihrem Partner und Bernhard Saupe waren Dichter*innen wie Zoltán Lesi, Johanna Wieser, Mário Z. Nemes, John Sauter und Jakob Kraner dabei. Es war ein Wochenende, dessen lyrische Bedeutung sich mir erst allmählich offenbarte. Lenti (lent: ungarisch für unten, lenti: von unten), wo Jakob Kraner und ich auf einem Piano als die Holiday Roses, einer kurzlebigen 24-Stunden-Band, erstmals Musiknoten miteinander tauschten, bevor wir gemeinsam mit Verena Dürr Smashed To Pieces im Nachtasyl gründeten. Ich lernte in Lenti Lesi kennen, lange vor unserer gemeinsamen Lyrik-Kochshow. Und ich lernte aber vor allem Sina Kleins fein gearbeitete Gedichte und ihren präzisen Verstand kennen.
Das Wochenende hatte etwas Erhabenes, das durch die Jahre hindurch nur noch verklärt und bis in den Kitsch hinein romantisiert werden kann. Es stand an einer Schwelle, an der auch der Gedichtband skaphander steht, der in eine Zukunft deutet, ohne seine lyrische Herkunft zu vergessen, und in extremen Druckverhältnissen nicht weniger als (((Schutz))) bietet. Ich lese darin von Beziehungen, Rausch, Ausgesprochenem, Verschwiegenem, Ge- und Verlebtem an der Schwelle zum Digitalen, Orte werden zu Koordinaten, das Leben programmierbar (nicht zufällig sang die Band Wizo ein Jahr vorher „unsere Isolationshaft ist bunt und digital“):
(12) überaus-tage sind das, das programm, jetzt fragt es noch, ob ich ein mensch bin. ich fühle mich nicht so, doch / stimme zu. du bist rar geworden um mich, ein phantom und mein zuckender schmerz ist vollkommen digital. ich hänge – ich hänge an dir wie am strom ein verlängerungskabel, wenn’s ruckelt, ich / sage dann: du, das sind überaus-tage, ich rage geradezu in die wand. [Seite 58]
Sina Klein, skaphander, Klever Verlag, Wien 2018, 15,00