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Von Deepfakes, Kamillenzungen und Quilts aus Worten

Von Deepfakes, Kamillenzungen und Quilts aus Worten

Rhea Krcmárová liest Schwankende Lupinen von Jane Wels als Sommerlektüre


Ein Geständnis zuerst: Rein von Titel und Aufmachung her wäre Jane Wels´ Gedichtband nicht unbedingt ein Buch, zu dem ich gegriffen hätte. Als jemand, die zwar eine Vorliebe für Mythologie hat, zur Natur als eingefleischter Stadtmensch aber kein wirklich intensives Verhältnis pflegt, hätte ich das Buch – ohne es zu kennen – vielleicht als zu blumig abgetan.

Zum Glück ist Jane Wels auf Social Media sehr aktiv und postet regelmäßig ihre (aber auch andere) Lyrik, und so weiß ich, dass ihre Gedichte, trotz immer wieder eingeflochtener Naturmetaphern, alles sind, nur kein floraler Querschnitt durch das Gartenjahr. 

Cover © Rhea Krcmárová 

Nachdem ich das Buch Anfang des Jahres schon quergelesen hatte, beschloß ich, es auf meine Sommerlektüreliste zu setzen und es langsam und genüsslich durchzuarbeiten. Wels´ Lupinen und andere Gedichte begleiteten mich durch den Wiener Baustellensommer voller Umleitungen, linderten meine Qual im vollgestopften Schienenersatzverkehrsbus am Gaudenzdorfer Gürtel und fanden einmal sogar den Weg in meine Badetasche (dass ich an diesem Tag im Kongressbad den Kollegen jopa jotakin und Benedikt Steiner über den Weg lief, wird kein Zufall sein).

Spätes Debüt

Schwankende Lupinen (erschienen 2024 in der von Jürgen Brôcan herausgegebenen Edition Offenes Feld) ist nicht nur Jane Wels´ Lyrikdebüt, es ist ihr erstes Buch überhaupt. Der Nachfolger – Das es Reiten – erschien im Sommer dieses Jahres. Die 1955 in Mannheim geborene Autorin studierte Entwicklungspsychologie, Pädagogik und Medienwissenschaften und arbeitete als Sozialtherapeutin und Sozialpädagogin. Ihre Texte veröffentlichte sie in Literaturzeitschriften und online. 

Wenn ein literarisches Debüt erst später im Leben erfolgt, stellen sich interessante Fragen: Hat die Lebenserfahrung nicht nur Auswirkungen auf die eventuelle Thematik, sondern auch auf Wortwahl und Stil? Jane Wels´ Gedichte wirken reif im Sinne von augsgereift, weder amateurhaft noch altbacken. Vielleicht liegt es tatsächlich an an Alter und Erfahrung der Autorin, dass die Texte und Worte so sicher sind, sich nicht anfühlen wie Gedichte einer jungen Anfängerin, sondern einer seasoned writer, wie man in Großbritannien sagen würde. Gleichzeitig merkt man, dass die Autorin nicht aus der Zeit gefallen ist, sondern in der Online-Welt genauso zuhause ist wie offline. Wels bricht das Poetisch-Üppige mit modernen technischen Wörtern, oder bettet diese vielmehr in die Gedichte ein.

In einem Text heißt es: 

die Zukunft ein Deepfake aus glühendem Schnee.
Jadegrün häutet sich
der poetische Körper
in den kybernetischen Raum.
Auf deiner Netzhaut
legt er sich oben

Naturmotive, gewidmet

Das zweite Gedicht gibt dem Buch seinen Namen, da heißt es: 

Schwankende Lupinen fauchen Löwenzahn.
Vergangenes
wurzelt sich unter mein Kissen,
verzweigt sich,
neigt sich über mich,
wie die Alte Brücke
über den Unterlauf des Neckars.
Flusswasser zieht mich in unsere Zeit,
in die Serpentinen unserer Körper.
Auf dem Schlangenweg
lehnen wir unsere Hitze
in die weiche Seele des Buntsandsteins,
wispern Moose von Hilde Domin:
„Freiheit
ich will dich aufrauen
mit Schmirgelpapier du geleckte...“

Zwei Konstanten ziehen sich durch das Buch, ein Strom an interessant eingesetzten Naturmotiven und viele Referenzen an Schriftstellerinnen und Schriftsteller. In den Texten selbst ist von Hilde Domin und Wilhelm Genazino die Rede, viele Gedichte sind anderen Künstlerinnen und Künstlern gewidmet, z.B. der spanischen, in Deutschland lebenden Autorin Berta Martín De La Parte, der tschechischen Fotografin und Bildhauerin Magdalena Jetelová, der Cembalistin Maja Mijatovic oder der Österreicherin Anja Bachl. Man hat aber nicht das Gefühl, dass Wels sich an die berühmteren Kollegen anbiedern will, auch nicht, dass sie (was ich beim Lesen oft ermüdend finde) damit prahlen will, wieviel belesen sie sei. Einige der von Jane Wels genannten Namen habe ich gegoogelt, weil ich es immer spannend finde, von welcher Kunst Kolleginnen und Kollegen inspiriert werden. 

Stilistisch fallen die Gedichte einheitlich aus, tendenziell sind sie eher kürzer, keines ist mehr als eine Dreiviertelseite lang. Die Autorin verzichtet auf Titel und Nummerierungen, die Orthographie und Interpunktion ist zurückhaltend normal. Die im Titel anklingenden Naturmotive sind in den meisten Gedichten stark präsent, wirken aber nicht kitschig – wie im Fall der Beschreibung die einer Wassermeise,  diese „flügelt sich in blaue Reste“. Wels beobachtet das Botanische, verflicht es zu mystischen Sprachgebilden. Trotz der sinnlichen Üppigkeit der erzählten Bilder sind die Gedichte verknappt, kein Wort scheint zu viel. Die Autorin ersinnt einige Neologismen, man findet in den Texten Zehenspitzengängerinnen, Seelenfächer und Weißwolken.

Mysterien der Natur

Beim Lesen bannten mich Schwankende Lupinen durch sinnliche, geheimnisvolle Bilder wie „Ich will die Sprache vernähen zu einem Quilt aus Worten, die keinen Schatten werfen.“ Wels´ Sprache eröffnet Frageräume, die sich bei jedem Lesen erweitern. Als jemand, die sich in letzter Zeit auch mit der Schnittstelle zwischen Textkunst und Textilkunst beschäftigt, entzückt mich dieses Bild sehr – wie sieht ein Quilt aus Worten aus? Wieso werfen sie keine Schatten? Die Antwort dazu juckt in meinen Fingern, will in die Welt geschrieben oder – genäht werden. 

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Überhaupt sind die Gedichte die Art von Texten, die ich nicht intellektuell verstehe, sondern ganz tief emotional, wie zum Beispiel:

Der frühe Morgen zieht einen Scheitel in den Tag,
kämmt ihm die Knoten aus dem Schlaf.
Unschärfen mischen sich
mit dem Duft von weißem Tee.
Als wir ein Sternbild waren,
nannten sie uns Wolf.

Das Bild des Sternbilds des (im Buch übrigens öfter auftauchenden) Wolfs bricht die sachte, poetische Morgenbeschreibung – oder ist es eher eine Ergänzung als ein Bruch?

Ein Gedicht tanzt formell aus der Reihe, ist nämlich als ein komplettes Gedicht lesbar, oder als zwei separate. Ich finde diese Art von Verflechtungen spannend, da sich so Möglichkeit ergeben, quasi seinen eigenen Metatext zu kreieren. 

Die Zeit ist reif,
DIE SCHWARZDROSSEL SINGT
um sich in die Widerborstigkeit fallen zu lassen.
IHREN REVIERGESANG
Wundertüten antworten auf Fragen.
STROPHE FÜR STROPHE
Erste Schatten mischen sich
HOCH OBEN AUF DER SINGWARTE,
unter das verstreute Licht.
BIS DER BUSSARD KOMMT

Einschübe anderer Art finden sich in einigen weiteren Gedichten. Wels wechselt zeilenweise ins Französische oder Englische. 

Schwankende Lupinen ist ein spannendes, gelungenes Spät-Debüt. Zwei, drei Gedichte mögen beim Lesen herausfallen, weil sie in meinen Augen etwas platter sind als der kunstvoll sprachverspielte Rest, und weil ihnen das Mysterium der anderen fehlt. Vielleicht fällt es mir aber auch nur deshalb so auf, weil in allen anderen Gedichten so viele wunderbar rätselhafte Bilder auf die Leserin und den Leser warten.  


Jane Wels: Schwankende Lupinen, 80 Seiten, Edition offenes Feld, Dortmund, 2024, Preis: 19 €

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