Lukas Meschik liest Christian Steinbachers Hoch die Ärmel. Gedichte und Schritte

Nach der Lektüre von Christian Steinbachers neuem Gedichtband Hoch die Ärmel. Gedichte und Schritte wird einem leicht schwindlig sein, so umfassend sind die Auslotungen der Möglichkeiten von Lyrik, so zahlreich die historischen und literarischen Bezüge und auch so üppig der Umfang dieses gleichzeitig so handlichen und in freundlichem Gelb daherkommenden Bandes.
Cover © Czernin Verlag
Hier dichtet ein Munterer, der sich eine kindliche Verspieltheit erhalten hat, dabei aus dem reichhaltigen Fundus des Kenners – und Verstehers – der Klassiker schöpft. Munter macht auch die Lektüre – und neugierig, den angerufenen Ewigen wie Sappho oder Klopstock nachzuspüren.
Geh, brumm. Geh, zirp. Geh, steh. Was solls. Geh, brumm schon. Geh, zirp schön. Gesteh es. Was soll das. Geh, lauft schon ab. Geh, hetzt euch doch nicht so ab. Geh, schreite nicht aus da. Na geh, du Trampeltier
Stichwortfreuden und Liebstöckels Klopfmassagen
Steinbachers Band ist streng sortiert, neun Teile werden uns dargereicht, mit dem Vorsatz sogar zehn. Diese tragen so klingende und vielsagende Titel wie „Im Weiterziehen der Blödigkeit“, „Raubbau mit Roussel“, „Stichwortfreuden“ oder „Liebstöckels Klopfmassage“. Durchaus hilfreich sind die zum Abschluss eingefügten „Baupläne und Noten“, die eine Kontextualisierung des zuvor – oder danach – Gelesenen leisten und großen Mehrwert liefern. So erfahren wir etwa, dass sich Steinbachers erster Teil aus Hölderlins „Nachtgesang“ (1803) bedient, auch der Live-Stream eines Solo-Konzerts für Klavier und Elektronik oder weitere Buchzitate werden akribisch angeführt. Ungewöhnlich, aber eben sehr ergiebig, zu den Gedichten Quellenangaben und relevante Anmerkungen zu erhalten. So gewährt uns der Autor einen Einblick in seine Lyrikwerkstatt und gibt uns eine Führung durch seinen Gedankenraum.
In einem kompakten Literaturseminar lernen wir außerdem, dass der Begriff „akatalektisch“ die „vollständige Durchführung des metrischen Schemas eines Verses“ bezeichnet, „brachykatalektisch“ wiederum eine „Verkürzung eines Verses um den letzten Versfuß oder die letzten zwei Silben“, „hyperkatalektisch“ verleiht dem metrischen Schema eine „überzählige Silbe im letzten Fuß“, und „prokatalektisch“ schließlich verkürzt das metrische Schema um den ersten Halbfuß.
Steinbacher beherrscht so nebenbei antike Metrik, trumpft mit seinem Wissen aber niemals auf, sondern schüttelt alles präzise aus dem Ärmel. Dass er mit jedweder freien oder strengen Form so unverkrampft umgehen kann, ist nur Beweis einer stillen, bescheidenen Meisterschaft. Sein Ton behält dabei eine ironische Distanz, die einen nie emotional erpresst. Keine Frage, dass Steinbacher seine Lyrik im Vortrag als Sprech-Akt zu ganzer Blüte bringt – was aber noch lange nicht heißt, dass sie in Buchform verlieren würde. Im Gegenteil ist der Überblick über Formatierung und Markierung eine Einladung zur Entschlüsselung.
Es mag geschraubt sich kommen vor, sie schnaufen aber hier, die der Spagat entlassen hat ins flache Feld, wohin es keine roten Backen treibt, dies Säuseln, direkt neben dir, es spielt mit rutschigeren Ufern oder allerletzten Rufen, also bitte seid nun endlich still und ab/
Körperpoesie
Ebenfalls in den so informativen wie launigen Anmerkungen erläutert Steinbacher seine Technik des Collagierens. Da werden seine Verse kurzerhand aus anderen Texten „gerissen“, allerdings nicht nur aus literarischen Werken, sondern gern auch aus Lehrbüchern, etwa einem übers Rudern oder einem für Ballett. Die sehr technischen Beschreibungen zur „Methodik des klassischen Pas de deux“ wirken unfreiwillig komisch, werden durch Steinbachers sanfte Verwandlung zur Körperpoesie.
(…) Einen Schritt hinter ihr, / mit Fingerfassung, geht mit einem Schritt vor, / in Kreuzhandfassung, Tänzerin mit sechs Schritten, Tritt mit zwei Schritten (rechts, links). Herzattacke, man drängt / die rechte Hüfte, Wirbelsäule berührt, / zum Oberschenkel, [u]m die eigene Achse, Position, rechter Arm!! (...)
Formenspiele
Steinbacher nutzt sein Buch – sein Werk – als heiteren Spielplatz, auf dem er in ernsten Spielen auslotet, was Lyrik darf, soll, kann und muss. Müssen soll sie natürlich gar nichts, und sie kann alles dürfen, wenn man mit Experimentierfreude loslegt. Jeder der neun hier versammelten Teile hat einen leicht anderen Ton, eine andere Bildsprache und folgt einer anderen Logik. Diese Eigenständigkeit sieht man ihnen auf den ersten Blick an, allein schon die Aufteilung und Anordnung der Wörter und Zeilen weicht jeweils stark ab: Auf ein Andenken an den Konzeptkünstler Josef Bauer in Hexametern folgen die bereits erwähnten sehr technisch anmutenden Ruder- und Ballettgedichte, ein späterer Teil besteht aus dreiunddreißig Triolen, also kompakten Dreizeilern.
Gewitzte Spielereien mit pro-, a-, hyper- und brachykatalektischen Versen gibt es ebenso wie bezeichnende Durchstreichungen und Strichbrücken zwischen voneinander entfernten Gedichtzeilen, was neuen Sinn erzeugt. Hin und wieder entsteht der Eindruck, eine Spielerei mit der Form verkomme zum Selbstzweck, aber dass der Autor an seiner Arbeit selbst den meisten Spaß hat, ist ja auch nicht verkehrt. Neudeutsch könnte man sagen: Steinbacher hat Bock. Mit Hoch die Ärmel. Gedichte und Schritte zeigt er einmal mehr sein Gespür für gehobenen Blödsinn, der erst nach und nach seine tieferen Schichten freilegt.
Quadrant lacht an man facht vollbracht rührt um die Sauce ein Klecks spielt Flug vorm Leck mürb nie servil fällt ein fällt aus Pelé ersann Spagat zu zweit zu dritt zu fünft genügt (…)
Christian Steinbacher: Hoch die Ärmel. Gedichte und Schritte. Mit Bildbeigaben von Regina Moritz. Czernin, Wien, 2025. 168 Seiten. Euro 22,–
30.9.2025, 19.30 Uhr, Buchpräsentation