Die POESIEGALERIE stellt ihren Autor*innen Fragen zum Schreiben
Heute die Antworten von Anne Maria Pircher
1. Schreibst du regelmäßig? Zu welchen Zeiten und an welchen Orten?
Ich schreibe sehr unregelmäßig. Oft über Monate nichts außer Notizen, die ich mir aus Alltagsbeobachtungen oder Träumen mache. Oder ich fotografiere Situationen, Eindrücke, Banalitäten, die ich später in Literatur verwandle. Ich brauche für jeden Text eine lange Anlaufzeit, dann aber schreibe ich konsequent und intensiv über längere Zeit hinweg. Nach der Veröffentlichung brauche ich relativ lange, um mich wieder für etwas Neues zu sammeln, weil ich den Anspruch habe, tief in ein Thema einzutauchen. Am besten schreibe ich am Vormittag, aber auch am späteren Nachmittag, nie nachts. Mein bester Ort zum Schreiben ist tatsächlich mein eigener Raum, meine eigene Wohnung. Dort kann ich mich am besten konzentrieren.
2. Ist Schreiben für dich eher Handwerk oder Inspiration? Wie passen diese beiden Pole zusammen?
Zu Beginn meiner literarischen Arbeit war es vor allem Inspiration, weniger Handwerk. Heute ist es beides. Zuerst ist die Inspiration da, dann kommt das Handwerk hinzu. Steht die Rohfassung, gehe ich wieder und wieder drüber, auch laut lesend, um der Sprache ihren eigenen Ton zu geben. Ich mag die Musikalität von Text und Stimme. Das bringt mich manchmal an Grenzen, aber erst wenn ich mit dem Ergebnis zufrieden bin, kann ich abschalten und das Geschriebene ruhen lassen. Ich habe gelernt, geduldig mit mir und meinem Schreiben zu sein. Ich habe es nicht mehr so eilig wie früher, weil sich meine Prioritäten im Leben verschoben haben. Inspiration ist für mich natürlich das, was ich suche und meistens finde, was mich motiviert und vorantreibt. Handwerk ist unerlässlich, wenn man ernsthaft mit Sprache arbeiten möchte. Die beiden Pole sollten im besten Fall gut zusammenspielen. Zu viel Konstruiertes schadet dem Text meist mehr, als es nützt. Ich versuche, die Balance zu halten.
3. Wo findest du deine Themen? Eher in deinem Leben und unterwegs oder in Büchern und Medien?
Ich finde meine Themen eher in meinem Leben und unterwegs. Das hängt vor allem mit meiner komplizierten Biografie und meiner Neugierde auf alles Fremde in der nahen oder fernen Umgebung zusammen. Andere Bücher oder die Medien interessieren mich für mein eigenes Schreiben kaum. Daher habe ich Phasen, in denen ich intensiv andere Literatur lese bzw. mich informiere und Phasen, in denen ich mich voll und ganz auf mein eigenes Schreiben und Beobachten konzentriere. Natürlich fließt die eigene Lesebiografie unbewusst immer ein in die literarische Arbeit. Ich denke, alles, was man gelesen hat, dient irgendwo auch als Humus für das Eigene.

© Manuela Tessaro
4. Welche Bedingungen muss ein gelungenes Gedicht für dich erfüllen? Oder: Wann bist du sicher, dass ein Gedicht fertig ist?
Schwer zu sagen. Ganz sicher bin ich eigentlich selten. Aber irgendwann muss man ein Gedicht auch loslassen. Meistens ist es ein Gefühl, das ich mit dem Gedicht habe. Wenn mein Gefühl für Text und Rhythmus stimmt, dann ist es fertig. Wenn es mir gestelzt oder aufgesetzt erscheint, dann versuche ich das auszumerzen. Manchmal muss ich so ein Gedicht, das einfach nicht funktionieren will, trotz Abarbeitung daran weglegen. Das kann sehr frustrierend sein, sodass ich dann in seltenen Fällen dennoch daran festhalte, aber nicht glücklich damit bin. Ein Gedicht sollte im besten Fall neben dem Persönlichen auch etwas Universelles ausdrücken. Ich mag Gedichte, die etwas offenlegen, was unter oder abseits der Oberfläche brodelt und köchelt. Das muss nicht dramatisch sein, es kann auch wie z.B. bei Jan Wagner ganz leicht daherkommen. Aber es sollte mich auf irgendeine Weise überraschen oder mir den Spiegel so vorhalten, dass ich Lust habe hineinzuschauen. Aber ich glaube, der Zugang zu Lyrik ist sehr individuell und unterschiedlich. Ich bin ein visueller Typ und brauche das Schauen beim Schreiben und Lesen. Lyrik kann aber so vielfältig sein!
5. Trifft auf dich das Diktum zu, dass Dichter*innen Seismographen ihrer Zeit sind – und wenn ja, inwiefern? Anders gefragt: Siehst du für dich als Dichter*in eine Aufgabe in Bezug auf das gesellschaftliche Ganze?
Ja, ich denke, dass Dichter*innen feine Antennen haben, die der Gesellschaft eine andere Seite von Wirklichkeit zeigen. Mich hat immer schon interessiert, was hinter den Dingen, dem Offensichtlichen steht. Bereits als Kind stand ich oft irgendwo im Abseits und habe beobachtet. Was damals vielleicht als Schüchternheit begann, hat sich im Laufe meines Lebens manifestiert und mir eine gute Beobachtungsgabe beschert, die mir später den Weg zur Literatur und zu einer differenzierteren Wahrnehmung geöffnet hat. Ob ich darin eine Aufgabe in Bezug auf das gesellschaftliche Ganze sehe, ist mir nicht klar. Aber ich spüre eine Art Dringlichkeit in meinem Tun.
6. Kannst du mit dem Satz „Dichten ist ein brotloser Beruf“ etwas anfangen? Oder besteht in deinem Leben eine Spannung zwischen Schreiben und Einkommen?
Ja, ich denke, dass Dichten eher ein brotloser Beruf ist. Die Spannung zwischen Schreiben und Einkommen gibt es auch in meinem Leben. Natürlich. Dass ich es trotzdem immer wieder probiere, zeugt von ebendieser Dringlichkeit. Es hat mich schon früh zur Literatur hingezogen, obwohl ich in einem Umfeld aufgewachsen bin und immer noch lebe, wo Dichtung kaum bis gar keine Rolle spielt. Vielleicht brauche ich sie genau deshalb.
7. Welche Autorinnen und Autoren, welche Gedichte haben dich geprägt, fürs Schreiben sowie fürs Leben?
Im Haus meiner Kindheit gab es so gut wie keine Bücher. Später, an der Oberschule, bin ich auch aufgrund meines sprachlichen Talents stark in Literatur eingetaucht, allerdings eher in die Prosa. Gedichte haben mich zu der Zeit weniger interessiert, aber Ingeborg Bachmanns Lyrik hat mich schon damals in ihren Bann gezogen. Autoren wie Kafka, Handke, Camus, Kundera, Salinger – um nur einige zu nennen – haben meine Jugendjahre geprägt. Später waren es dann vermehrt Frauen. Herta Müller, Connie Palmen, Annie Ernaux, Judith Hermann, Zeruya Shalev, Sofi Oksanen und viele andere. Ich habe dann meinen literarischen Werdegang dennoch mit Lyrik begonnen. Die Gedichte von Mascha Kaléko, Hilde Domin, Anna Achmatowa, Rilke und Paul Celan waren neben Ingeborg Bachmann schon wichtig für mich. Es gäbe noch eine ganze Reihe weiterer Namen. Danke der Poesiegalerie, die mir immer wieder neue Einblicke in zeitgenössische Dichtung gewährt. Ein Gedicht am Abend vor dem Schlafengehen wirkt oft sehr kontemplativ. Wer nicht beten will, sollte Gedichte lesen. Ich praktiziere je nach Verfassung und Situation beides.
8. Woran schreibst du gerade bzw. woran hast du zuletzt geschrieben?
Ich habe zuletzt den Roman „Iris & Pupille“ und den Gedichtband „Aria“ veröffentlicht. Im Moment bin ich dabei, mich für ein neues Schreibprojekt zu sammeln. Neben der Prosa werde ich mich auch wieder Gedichten zuwenden.
9. Gibt es eine Frage, die du dir gerne selbst stellen und beantworten möchtest?
Ob ich eine Lieblingsstelle in einem Gedicht habe …?
Da gibt es einige. An diese hier erinnere ich mich in letzter Zeit aber besonders oft.
(…)
Zerreiß deine Pläne. Sei klug
Und halte dich an Wunder.
Sie sind lang schon verzeichnet
Im großen Plan.
Jage die Ängste fort
Und die Angst vor den Ängsten.
Aus: Mascha Kaléko, Die paar leuchtenden Jahre

