Die POESIEGALERIE stellt ihren Autor*innen Fragen zum Schreiben
Heute die Antworten von Amos Rüf
1. Schreibst du regelmäßig? Zu welchen Zeiten und an welchen Orten?
ich versuche regelmäßig zu schreiben, ohne dabei jedoch dem maß einer regel zu folgen. und da ich vorwiegend kurze texte schreibe, ist eine regelmäßigkeit nicht von bedeutung.
mein schreiben ist mehrheitlich an meine wohnung gebunden. eine große ausnahme ist mein schreiben im bus oder in der trambahn. mein schreiben ist mehrheitlich ein untertagsschreiben. das schließt aber auch ein, dass es andere schreibzeiten und schreiborte gibt. diese sind jedoch in der minderheit und folgen keinem bestimmten regelwerk.
2. Ist Schreiben für dich eher Handwerk oder Inspiration? Wie passen diese beiden Pole zusammen?
zunächst ist das schreiben von gedichten für mich dasein. zunächst ist es das finden beziehungsweise wiederfinden von einzelnen wörtern. zunächst ist es das festhalten von wörtern, das festhalten an wörtern. zunächst ist es das formulieren und das zeichnen von bildern mit hilfe dieser wörter. zunächst ist es, das leben zu schreien und zu schweigen. handwerk und inspiration helfen dabei. mitunter.
schreiben ist für mich widerstand und zugleich auch meine diaspora. es ist ein akt des überlebens und dadurch des existierens.
3. Wo findest du deine Themen? Eher in deinem Leben und unterwegs oder in Büchern und Medien?
mehrheitlich finde ich meine themen in büchern und bildern und filmen. oft fängt mein schreiben mit dem diebstahl eines wortes oder eines bildes an. ich stehle sie gerne und ohne großen skrupel. ich finde durch diesen diebstahl oft meine eigenen wörter, meine eigenen bilder. ich finde dadurch den dialog mit der welt. ich führe dadurch den dialog mit der welt.
und wenn ich im bus und in der trambahn lese und dabei wörter und bilder aus dem buch, in dem ich gerade lese, stehle, schreibe ich in folge auch im bus oder in der trambahn.

© Thomas Fürth
4. Welche Bedingungen muss ein gelungenes Gedicht für dich erfüllen? Oder: Wann bist du sicher, dass ein Gedicht fertig ist?
ich schreibe ein gedicht. dann lese ich es mir laut vor. wenn ich meine stimme nicht höre, dann ist es noch nicht fertig. höre ich hingegen meine stimme, dann ist es vielleicht fertig. ich lese es mir immer wieder laut vor. und einmal kann es sein, dass ich dabei meine stimme höre. und beim nächsten mal kann es aber auch sein, dass ich sie wiederum nicht höre. es ist schwer bis gar nicht zu erklären, warum es einmal so ist und einmal so. das befolgen sprachlicher, grammatikalischer oder literarischer regeln hilft daraufhin manchmal weiter. jedoch nicht immer. das finden eines gedichts hängt somit mit dem finden meiner stimme zusammen.
5. Trifft auf dich das Diktum zu, dass Dichter*innen Seismographen ihrer Zeit sind – und wenn ja, inwiefern? Anders gefragt: Siehst du für dich als Dichter*in eine Aufgabe in Bezug auf das gesellschaftliche Ganze?
wörter sehen, wie sie sind, sie aber auch anders sehen, sie anders verwenden, ihnen neue wege geben. sprache in vielfalt, in andersartigkeit aufblühen lassen. wörter und damit sprache als widerstand gegen die uniformierung der welt verstehen. wörter und damit sprache als widerstand gegen missionierung durch sprache verstehen. wörter und sprache als utopie verstehen, als ewiges neuland.
ich schreibe als teil eines gesellschaftlich ganzen für ein gesellschaftlich ganzes. und ich schreibe zugleich für mich. beides mehr oder weniger kantig, rund, glatt, verbogen, kalt, warm, schmerzvoll, schmerzlos, widerspruchsvoll, politisch, apolitisch, unverständlich, fehlerhaft, bestimmt, unbestimmt, giftig …
6. Kannst du mit dem Satz „Dichten ist ein brotloser Beruf“ etwas anfangen? Oder besteht in deinem Leben eine Spannung zwischen Schreiben und Einkommen?
ich hätte und habe mit meinem dichten kein einkommen, das zum leben ausreichend wäre. ich habe daher einen brotberuf. ich habe einen brotberuf gewählt, der mit buch zu tun hat. ich verborge bücher.
spannung entsteht dabei nur, wenn ich während der brotberufsarbeitszeit den gedanken für ein gedicht habe und es nicht einmal möglich ist, mir eine notiz zu machen, um diesen gedanken nicht wieder zu verlieren. es passiert. gelegentlich. vielleicht ist das auch der grund, warum ich mehrheitlich in meiner wohnung schreibe.
7. Welche Autorinnen und Autoren, welche Gedichte haben dich geprägt, fürs Schreiben sowie fürs Leben?
nachdem ich gedichtbände meist wie einen roman lese, rasch eines nach dem anderen, von der ersten seite bis zur letzten seite, nachdem ich vor allem einzelnen wörtern und bildern nachspüre, mich durch die zeilen und zwischenzeilen treiben lasse, nachdem ich den fremden und mir dann doch oft vertrauten stimmen einfach raum in mir gebe, gibt es keine einzelnen gedichte, die ich als mich prägende gedichte bezeichnen würde und könnte.
aber es gibt stimmen, die mir durchaus sehr nahe sind: samuel beckett, arthur rimbaud, juan carlos onetti, marguerite duras, george perec, maurice blanchot, norbert c. kaser, dominik steiger, unica zürn, henri michaux, antonin artaud, fernando pessoa. ob sie nur meine sprache, mein schreiben geprägt haben? oder auch mein leben? allemal ist da ein buntes treiben in mir.
8. Woran schreibst du gerade bzw. woran hast du zuletzt geschrieben?
ich schreibe nicht über mich. zumindest versuche ich es zu vermeiden. ich habe mein poetisches „ich“ auf einen friedhof gelegt. der friedhof der namenlosen in wien wäre ein passender, schöner friedhof dafür. in keinem meiner gedichte der letzten ein bis zwei jahre kommt das wort „ich“ vor. ich kann dieses ich nicht wahrnehmen. nicht spüren. es ist weiterhin ratlos und rastlos, wahrscheinlich irgendwo für den anderen sichtbar, in sich ruhend. daran schreibe ich gerade.
(dieser fragenkatalog ist mir eigentlich ein zuviel an ich.)

