Die POESIEGALERIE stellt ihren Autor*innen Fragen zum Schreiben
Heute die Antworten von Jörg Piringer
1. Schreibst du regelmäßig? Zu welchen Zeiten und an welchen Orten?
ich schreibe oft und viel. nicht alles davon ist literarisch. manches nur email, honorarnote, social media posting, reines blabla.
wenn ich an einem grösseren projekt schreibe, dann brauche ich ruhe und meinen laptop. am besten zuhause oder auf schreiburlaub.
notizen kann ich allerdings überall in mein telefon schreiben. daher finde ich es essentiell,immer mein telefon dabeizuhaben. nicht, dass mir irgendeiner der flüchtigen gedankenentgeht!
2. Ist Schreiben für dich eher Handwerk oder Inspiration? Wie passen diese beiden Pole zusammen?
dichtung ist mehr mundwerk als handwerk. zumindest so, wie ich sie verstehe. sie will und muss gesprochen werden und das sprechen steuert die notation. die hand ist damit nur mehr ausführendes organ des mundes. das sprechen zieht antworten nach sich. antworten anderer oder eigene. diese wiederum neue fragen. oder neue behauptungen. ich höre zu. und spreche aus.
3. Wo findest du deine Themen? Eher in deinem Leben und unterwegs oder in Büchern und Medien?
ich kann das nicht trennen. ich lebe und lese und reflektiere andere medien. auch die welt wird von mir aktiv erfahren. manchmal wie ein buch gelesen, dann passiv erfahren wie im kino, am liebsten aktiv. wie in einem computerspiel. nur echter. so echt wie es nur geht. obwohl echt überhaupt nichts geht. nichts ist echt. es gibt kein echt und unecht.
das heisst: ich finde die themen überall. oder sie finden mich. nein. das ist ein zu abgedroschenes bild. themen gehen nicht auf wirtssuche. wir sind ihnen egal. wir sind nichts für sie.
4. Welche Bedingungen muss ein gelungenes Gedicht für dich erfüllen? Oder: Wann bist du sicher, dass ein Gedicht fertig ist?
das gedicht ist nie fertig. es kann immer umgedichtet werden. wir alle dichten immer alles um. um und um. wir vergessen etwas. lassen ein wort beim vorlesen aus. versprechen uns, verhaspeln uns bei einer schweren stelle. finden eine neue zeilenführung besser und sprechen sie spontan anders als geschrieben. wir kürzen den text für die aufführung. wir wollen nicht schief angeschaut werden. da wir schon wieder die lesezeit überschritten haben. wir möchten wieder eingeladen werden. daher dichten wir um. um und um.

5. Trifft auf dich das Diktum zu, dass Dichter*innen Seismographen ihrer Zeit sind – und wenn ja, inwiefern? Anders gefragt: Siehst du für dich als Dichter*in eine Aufgabe in Bezug auf das gesellschaftliche Ganze?
ich schreibe in der zeit, in der ich lebe. notgedrungen. ich will nicht alles hinnehmen. daher schreibe ich auch darüber, was passiert. was die leute glauben. was die leute reden. was wir glauben. was wir reden. ich kann mir keine spannende dichtung vorstellen, die ignoriert, in welcher zeit wir leben.
6. Kannst du mit dem Satz „Dichten ist ein brotloser Beruf“ etwas anfangen? Oder besteht in deinem Leben eine Spannung zwischen Schreiben und Einkommen?
wie bei fast allen spielt das geld eine rolle. wenn ich dieses jahr ein stipendium bekomme, dann kann ich leicht aufträge oder auftritte absagen, die ich sonst nur des geldes wegen gemacht hätte. das befreit. gibt ein gutes gefühl. eine temporäre sicherheit. diese ist wichtig. für alle. also auch für mich. am besten wären stipendien für alle schreibenden. oder kunstschaffenden. oder arbeitenden. oder lebenden.
die toten brauchen sie eher nicht mehr. obwohl man im antiken griechenland den toten eine münze unter die zunge gelegt hat, damit sie den fährmann charon bezahlen können und er sie sicher über den styx in die unterwelt bringt. also vielleicht brauchten auch sie ein stipendium. wer weiss, ob nicht die anderen öffentlichen verkehrsmittel im hades auch geld kosteten.
7. Welche Autorinnen und Autoren, welche Gedichte haben dich geprägt, fürs Schreiben sowie fürs Leben?
ich liste hier nur autorinnen und autoren auf, keine gedichte. zusätzlich ein einzelnes buch. manche von ihnen sind auch musikerinnen und musiker oder anderweitig kunstschaffende. diese liste ist selbstverständlich unvollständig und ständigen veränderungen unterworfen:
laurie anderson
karl valentin
konrad bayer
friederike mayröcker
elfriede gerstl
hanne römer – aufzeichnensysteme
elfriede jelinek
ernst jandl
lydia haider
ilja ehrenburg
konstantin raudive
william s. burroughs
marc adrian
raoul hausmann
henri chopin
yukno
bob dylan
ilse kilic
knut hamsun
john cage
thomas bernhard
ludwig wittgenstein
gertrude stein
das alte & das neue testament (nicht in einem religiösen sinn. aber in einem poetischen. das buch steht bei mir im fantasy-regal zwischen „herr der ringe“ und „momo“)
gerhard rühm
ernst herbeck
kurt schwitters
bashô
ann cotten
daniil charms
rainald goetz
8. Woran schreibst du gerade bzw. woran hast du zuletzt geschrieben?
ich schreibe an einem text über die angst vor den wölfen. wie sie die feuerstelleumschleichen. oder wie wir glauben, dass sie das tun. oder wie wir glauben, wir sässen an einem feuer.
9. Gibt es eine Frage, die du dir gerne selbst stellen und beantworten möchtest?
fragen, die ich mir selbst stelle, kann ich nicht beantworten. und wenn ich sie doch irgendwann beantworten kann, stelle ich sie mir nicht mehr.