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Die Sprache zum Tanzen bringen

Die Sprache zum Tanzen bringen

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Lukas Meschik liest Mehrzad Hamzelos und Rudolf Krausmit zwei zungen.


Cover „mit zwei Zungen“-Mehrzat Hamzelo und Rudolf KRaus

Der Band mit zwei zungen ist ein Gesamtkunstwerk, besteht er doch nicht nur aus Gedichten auf Deutsch und Farsi (Persisch), sondern beinhaltet auch farbig abgedruckte „Sprachskulpturen“. Dabei handelt es sich um kunstvolle Anordnungen von Buchstaben des persischen Alphabets, die in verschiedenen Winkeln geneigt und unterschiedlich groß platziert sind, wodurch sie zu grafischen Elementen werden, miteinander in Beziehung treten und neue Zusammenhänge schaffen können. Das vorangestellte Motto lautet „über die grenzen hinaus“, und so ist das Projekt auch als Brückenschlag über Sprachgrenzen hinweg zu verstehen.

Cover © Edition Fabrik Transit

Die gebürtige Iranerin, seit Langem in Wien lebende Mehrzad Hamzelo und der in Niederösterreich aufgewachsene Wiener Rudolf Kraus sind also nicht bloß Autorin und Autor, sondern Gestalterin und Gestalter, vor allem auch Übersetzerin und Nachdichter. mit zwei zungen ist das Produkt eines komplexen Entstehungsprozesses, so wird Hamzelo angegeben als Übersetzerin in die jeweils andere Sprache, und Kraus lieferte Nachdichtungen der deutschen Übersetzungen. Diese Komplexität rückt beim Lesen völlig in den Hintergrund und beschwert die Lyrik nirgendwo, es handelt sich im Gegenteil um ein leichtfüßiges, geradezu schwereloses Buch voller Gedichte, die oft aus wenigen, dafür umso sorgsamer platzierten Wörtern bestehen. So stellt sich sofort eine Geläufigkeit der Wahrnehmung ein: Auf jeder Doppelseite steht links die deutsche und rechts die persische Version. Auch wer dieser Sprache nicht mächtig ist, wird nicht zur Ohnmacht verdammt, sondern ermuntert und ermutigt, ihre Zeichen als Zeichnungen aufmerksam zu studieren.

leben

schieb
die last der vergangenheit
zur seite
die aufregung des lebens
birgt sich
in den neuen anfängen
und wartet darauf
zurück ins spiel
gerufen zu werden

Einfach und klar

Die titelgebenden zwei Zungen finden nicht nur in den zwei verwendeten Sprachen, sondern auch in der Einteilung des Bandes ihren Niederschlag, so heißen die Kapitel „zunge eins“ und „zunge zwei“. Hamzelo bespielt die erste, Kraus wiederum die zweite Zunge; die farbigen Sprachskulpturen ziehen sich durch den gesamten Band und dienen als zusätzliches verbindendes Element.

Hamzelos Sprache ist einfach und klar, bleibt selbstbewusst unverrätselt – oft verbirgt sich das Vielsagende in vermeintlicher Einfachheit: in präzise wahrgenommenen Sinneseindrücken und bewusstem Naturerleben, etwa den sanften Gewalten des Meeres: „täglich zeichnungen / in den sand / täglich wellenstöße“. Die weitgehend reimlos bleibenden Gedichte halten sich kurz, lassen alles Überflüssige weg, erinnern oft an leicht in die Länge gezogene Haiku. Ein gutes Beispiel dafür, wie Schlichtheit der Sprache eine schillernde Unausgesprochenheit evozieren und transportieren kann.

nach einem regenguss

eine frische brise
kitzelt die wimpern
resttropfen
durchfeuchten die frische

schritte zögernd federleicht
verlängern
empfinden der lebenslust

„du du du du du du du“

Auch Kraus bekennt sich zur vielsagenden Einfachheit und zur gekonnten Reduzierung aufs Wesentliche. Da und dort ist seine Lyrik verspielter, sein „liebesgedicht“ etwa besteht fast gänzlich aus dem Wort „du“, das mit zehn Reihen à zwölf Wörtern ein standhaftes Quadrat bildet. Mit dem vorangestellten „nur du“ und dem nachgesetzten „du nur“ kommen wir also auf insgesamt einhundertzweiundzwanzig „du“ – treffender ließe sich die Fixierung auf eine Person bei akuter Verliebtheit kaum ausdrücken.

Es bleibt aber ausreichend Raum für existenzielle Fragen und melancholische Selbstverortung: „wer immer im / ersten blick den / tod sieht / wird im zweiten / blick vom leben / überrascht“. Sind alle von Hamzelos Gedichten noch mit Titeln versehen, so bleiben die meisten Nachdichtungen von Kraus titellos, sind in ihrer gewichtigen Kargheit auf sich selbst reduziert. Einig sind sie sich bei der konsequenten Kleinschreibung.

See Also

und plötzlich
merkst du
wie einsam du bist

die erinnerungen
an menschen
die nicht mehr
unter uns sind
sind beinahe
deine gegenwart

mit ausnahme
jener momente
die unbeschreiblich sind

Geglückter Brückenschlag

Die zwischendurch eingestreuten Sprachskulpturen wirken lebendig, als wären sie mitten in der Bewegung erstarrt – sie bringen Sprache zum Tanzen. Allesamt verkörpern sie Sprachbilder und tragen geheimnisvolle Namen, die jeweils darunter zu lesen sind: „illusion des beetes“ oder „fluss der atemzüge“ oder „erschöpfte schuhe“ oder „unfertiger mensch“ oder „geschmack des himmels“ oder auch nur ganz lapidar „frau“.

Ein zungenrotes Lesebändchen rundet den hochwertig gestalteten Band ab. Mehrzad Hamzelo und Rudolf Kraus ist mit ihrem Gemeinschaftsprojekt ein lyrischer Brückenschlag gelungen, der dazu einlädt, sich in andere Sprachwelten zu begeben und die Schönheit zunächst fremdartiger Zeichen neugierig zu deuten.

mond

der mond versteckt sich
vor mir
weil ich wieder einmal
den satz
nicht vollendet habe
er meint ja
ich bringe nichts
fertig

Mehrzad Hamzelo und Rudolf Kraus: mit zwei zungen. gedichte und sprachskulpturen. deutsch & farsi. edition fabrik.transit 2025. 152 Seiten, 18 farbige Abbildungen. Euro 19,–

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