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Fanzine, DIY und Mail Art – editorische Not oder kreative Tugend?

Fanzine, DIY und Mail Art – editorische Not oder kreative Tugend?

Günter Vallaster befragt dazu die united queendoms, das fröhliche Wohnzimmer und die Fanzine-Expertin Magdalena Mayer


Fanzines sind Publikationen im Heftformat, die von Einzelpersonen oder Gruppen in Eigeninitiative und auf eigene Kosten herausgegeben, gestaltet und verbreitet werden. Als Ausdruck ein Portmanteauwort aus „Fan“ und „Magazine“, bietet es auch inhaltlich unbeschränkten Fassungsraum, um jedes Thema in jeder erdenklichen Form kreativ darin zu verpacken. Die Journalistin, Kuratorin und Fanzine-Forscherin Magdalena Mayer schreibt dazu im Vorwort von „The Tea Set. A Syd Barrett Fanzine“ (edition ch 2011):

Ursprünglich von Liebhabern der Science Fiction in den 1920ern ins Leben gerufen und an die 50 Jahre später von der Punkbewegung zu einem Boom gebracht, gibt es mittlerweile wahrscheinlich nichts, was noch nicht Anlass für solch ein Heft gewesen wäre. (…) Von klassischen Musikmagazinen über Literatur-, Comic und Kunstfanzines, Filmfanzines, Sportzines, tagebuchähnlichen Ego-Zines oder Videozines bis hin zu reichlich Obskurem wie dem Optimistic Pezzimist, Fanzeitschrift für Pez-Zuckerlspender, und Fanzines für Liebhaber von Wäscheklammern und Strickstrumpfhosen – keine Sparte ist zu klein, um im pluralistischen Treiben nicht auch ihr Medium zu haben, sie braucht nur ihre begeisterten Anhänger. Sind die einen akribische Sammler und Fans im Sinne von "Fanatikern", wollen andere gesellschaftspolitischen Anliegen ein Sprachrohr verleihen (erwähnt seien Riot Grrrl Zines der feministischen Bewegung), wieder andere wollen eine neue Art der Sprache und Darstellung von künstlerischen Ausdrucksweisen finden. Kreativen Ausbrüchen der Akteure sind dabei keine Grenzen gesetzt und während einige Fanzines very punky in Schwarz-Weiß-Optik, copy & paste-Verfahren und unter Einsatz von Klebstoff, Schere, Klammer und Kopiergerät zusammengeflickt werden, sind andere grafisch-professionell durchdacht und im Vierfarbdruck auf Hochglanz gestylt und manche so akribisch und liebevoll in Kleinstarbeit händisch bemalt oder gebastelt, dass man sie am liebsten einrahmen würde. Wundern braucht man sich auch nicht, wenn man eines dieser Hefte in einer Schachtel, vielleicht sogar Bierdose, überreicht bekommt. 

Fanzines boomen, nicht zuletzt in der Kunstwelt. Das beweisen die zahlreichen Zine Fairs, Zine Fests und Art Book Fairs, die in den letzten Jahren weltweit mit großem Erfolg stattgefunden haben, von Los Angeles, New York über Paris, Berlin, Wien, Budapest, Moskau bis Tokio. Die Exponate waren dabei meist Artzines, Comics und Artist’s Books. Auch für die visuelle und transmediale Poesie, die in der öffentlichen Wahrnehmung und von Verlagen häufig mehr zwischen die Stühle Literatur und bildende Kunst gesetzt wird als als Brücke zwischen beiden Kunstrichtungen gesehen, eröffnet das Fanzine einen Freiraum, um aus den Nischen herauszuwachsen wie Blumen durch den Asphalt. Ein Fanzine kann sogar mehr Verbreitung finden als manche Buch- oder Zeitschriftenpublikation und wie eine Visitenkarte oder ein Portfolio wirken. Durch die Nähe zum Künstler*innenbuch kann sich das Do-it-yourself-Prinzip auf alle Ebenen der Produktion erstrecken, sowohl aus Kostengründen als auch aus ästhetischen Überlegungen und dem Bedürfnis nach möglichst weitreichender Gestaltungsfreiheit. Daher sind Fanzines auch sehr gut als Gruppenprojekte in kreativen Schreib-, Kunst- und Do it Yourself-Workshops (DIY) geeignet.

Eine Nähe ist auch zur Mail Art gegeben, bei der Text-Bilder im Ansichtskartenformat und oft mit Stempelkunst versehen per Post an die zum Mail Art-Projekt Einladenden gesandt werden. Die Beiträge werden dann meist in Offspace-Galerien ausgestellt oder in Kunstschachteln zusammengefasst. Auch hier ist der Netzwerkgedanke leitend und etablierte Institutionen werden umschifft. In den 1960er-Jahren im Umfeld von Konzeptkunst, Fluxus und Neo-Dada von Ray Johnson in New York als Form der Aktionskunst mit Happening-Charakter initiiert, ist Mail Art heute trotz oder gerade wegen des digitalen Zeitalters mit einer internationalen Szene durchaus aktiv und präsent. Gerade in totalitären Systemen und Ländern mit eingeschränkten Publikationsmöglichkeiten hat Mail Art immer überhaupt eine Möglichkeit bedeutet, eine Öffentlichkeit oder kritische Gegenöffentlichkeit im Untergrund zu schaffen und in Kontakt und Austausch mit Kolleg*innen zu treten. Dies gilt auch für Fanzines. Entstehen Fanzines, DIY- und Mail Art-Projekte somit aus der „Not“, keine andere Publikationsmöglichkeit zu finden oder sind sie eine „Tugend“, also bewusste Haltung und Statement? Dazu Magdalena Mayer auf Anfrage:

© Much Vogel

„Meiner Meinung nach überwog bei den Fanzines, die ich untersucht habe, definitiv die Tugend statt der Not, die DIY-Haltung und der Wunsch nach künstlerischer Autonomie.“

Dies zeigen auch die beiden Positionen, die im Folgenden präsentiert werden:

Die united queendoms sind, wie ihrer überaus kunstvoll gestalteten Homepage unitedqueendoms.com zu entnehmen ist, seit über einem Jahrzehnt als „multimedial inszenierte Geschichte von Königin Utopia und Königin Dystopia und ihrer Kolonie“ ausgehend vom „Mythos vom Goldenen Westen als hegemoniale europäische Idee“ aktiv. Ihre Ausdrucksformen umfassen Performance, Installationen („Mobile Palace“), comicartige Bildgeschichten, Filme wie „Die Bergin ruft“ (2014), Animationen, Leuchtkasten („queens move mountain. ein lichtspiel“ (2012)) und vieles mehr: Zum König*innenreich und seiner Kolonie gehören etwa auch Posters, Milestones, Flyer, Stamps und Visa, allesamt künstlerische Instrumente, die der kreativen Raumgenerierung dienen. Als „D.I.Y Industries“ haben sie bislang seit 2008 als erste Serie das QUEENZINE als „königinnenliches DIY-Medium“ inklusive Starschnitten (8 Episoden 2008-2012) sowie als zweite Serie Saint+Harlot SIN (7 Sünden/Episoden, 2013-2019) herausgegeben: bunte, bibliophil gestaltete Fanzines mit Fadenheftung als „paradiesische Landschaften“, für die die Kunstfiguren Utopia und Dystopia Bauplätze („Lots“) an die Beiträger*innen vergaben. Beide Zine-Serien zusammengenommen sind es derer inzwischen an die fünfzig, die alle auch im Walk of Fame mit Sternen oder als Landladies mit Kronen gewürdigt wurden. Die Zines sind Teile des Gesamtkolonisationsprojekts united queendoms.


saint and harlot sin NO5, Cover, 2017

QUEENZINE #7, p 2+3, 2012

2020 stellten die united queendoms in der transmedialen Poesiegalerie „die dreizehnte fee“ aus. Sie basiert auf Fotos ihrer „Kronenbaustelle“, die sie 2020 beim Straßenfest „Autonome Spielwiese“ am Wiener Yppenplatz erstellten:

„die kronenbaustelle ist die einladung „QUEEN YOURSELF! UNITE!“ an alle, DIY teil unserer Großen Erzählung zu werden. sie ist ein format für den öffentlichen raum. wir erzählen nicht die geschichte, sondern liefern bauanleitung, support und material (am liebsten den karrierestandard) für die krone. gemeinsam mit den teilnehmer*innen betreiben wir performative forschung und selbstermächtigung mittels aneignung, überaffirmation und regelbruch. die krone ist maßgeschneidert und sitzt. die dreizehnte fee stellt die frage nach ein- und ausschlüssen.“

united queendoms: Kronenbaustelle

Auf die Frage, ob sie Fanzines, DIY und Mail Art mehr als Not oder Tugend sehen:

united queendoms: saint and harlot "grande finale" sin NO7, p 22+23, 2018

„wir lieben schneiden und picken und zinen und queenen! und fühlen uns in dieser DIY tradition und szene sehr gut aufgehoben! es gibt so viele schöne zines und projekte! wir mögen den austausch mit anderen und freuen uns auch immer sehr über einladungen! diese art zu produzieren macht uns ur viel freude und ist auch „self-care“. dabei wissen wir, dass wir sehr privilegiert sind, uns das leisten zu können und z. b. einen raum zu betreiben.“

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Ilse Kilic und Fritz Widhalm sind nicht nur Autor*innen mit stattlichen Publikationslisten, sie bilden seit mehr als drei Jahrzehnten auch „Das fröhliche Wohnzimmer“, das als Musiklabel begann, dann als Autor*innen-Edition vielen Schriftsteller*innen und Vertreter*innen weiterer Kunstrichtungen Publikationen ermöglichte, darunter oft auch Lyrikbände. Wie bei Musiklabels, die von Musiker*innen selbst ins Leben gerufen werden, um ihre eigenen musikalischen Ideen ohne Einschränkungen und Kompromisse umsetzen zu können und dabei auch Gleichgesinnte um sich zu scharen, die gefördert und produziert werden, sollen auch in einem Autor*innenverlag, also einem Verlag, der von Autor*innen betrieben wird und so gesehen auch ein DIY-Projekt darstellt, die Bücher möglichst den Vorstellungen der dort publizierenden Autor*innen entsprechen. Dabei können gerne auch neue Wege gewagt werden. Darüber hinaus findet im „Wohnzimmerversum“ in Eigen- und Kooperationsprojekten jede Kunstrichtung Platz, ob Musik, bildende Kunst, Comic, Fotografie, Hörspiel oder Film. Fritz Widhalm gab auch bis 2014 fünfzig Ausgaben der im Copy Art-Verfahren hergestellten Zeitschrift „Wohnzimmer“ heraus. Daher versteht es sich fast von selbst, dass Fanzines, DIY, Mail Art sowie handgemachte Wohnzimmer-Bücher zum Work in Progress des fröhlichen Wohnzimmers gehören:

Cover des ersten Zines des fröhlichen Wohnzimmers: Mail Art (1984)
Cover der ersten handgefertigten fröhlichen Wohnzimmerbücher (1986)
Cover der Zeitschrift Wohnzimmer (6/1992)

zeitschriftenherausgeben. Beitrag von Ilse Kilic und Fritz Widhalm für die Zeitschrift „Die tödliche Dosis“ (2001)

Zur Frage nach Not oder Tugend des Selfpublishings in Zines, DIY und Mail Art meinen Ilse Kilic und Fritz Widhalm:

„es ist wohl immer beides. natürlich ist es eine non-profit-sache, das ist ein bisschen das dilemma dabei und hat schon etwas mit „not“ zu tun. viele, die im „wohnzimmer“ publizierten, haben und brauchen auch andere (viele) standbeine, auch wir als herausgeber. bei der „tugend“ geht es aus unserer sicht nicht nur um künstlerische autonomie des/der einzelnen, sondern auch um eine erweiterung der kunst- und lebenswahrnehmung. es ist ja letztlich auch ein angebot an die mitmenschen und soll zeigen, dass es eben mehr gibt als den kanon bzw. dass der kanon nicht die absicht hat, die vielfalt literarischer/künstlerischer produktion abzubilden. es ist auch ein angebot mitzumachen, selbst aktiv zu werden.

Lieselotte Lengl, Ilse Kilic, Fritz Widhalm (Poesiegalerie 2018)

ja, wir sehen es durchaus als kritik am kanon und auch als gegenpol zur hierarchie von (künstlerischen) positionen. dazu kommt, dass „austausch“ verschiedener positionen, also darstellungs- und wahrnehmungsweisen in der begegnung innerhalb eines fanzines, eines artzines etc. sich oft mit schöner selbstverständlichkeit entfaltet. der austausch ist letztlich ein teil der entfaltung für jede*n einzelnen daran beteiligten. auch das ist eine form von profit, weswegen non-profit auch nur die halbe wahrheit ist. wir sind im grunde unseres herzens befürworter*innen der sogenannten gießkanne, denn wo gegossen wird, wächst etwas. und wo etwas wächst, wird die not kleiner, in doppeltem sinne.“

In der transmedialen Poesiegalerie stellte Ilse Kilic 2018 „in den wintern“ und „haus“ sowie 2019 „stapo-akt“ aus, Fritz Widhalm 2018 die Serie „aber“.

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