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Bäume ohne Klischees

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Daniela Chana liest „Handbuch der Pflanzenkrankheiten“ von David Fuchs


Daniela Chana liest „Handbuch der Pflanzenkrankheiten“ von David Fuchs im Haymon Verlag

Schon Titel und Aufmachung des Lyrikdebüts von David Fuchs wecken die Neugier: Es ist verheißungsvoll, wenn unterschiedliche Disziplinen jenseits der Geisteswissenschaften motivisch in die Literatur einfließen. Der oberösterreichische Autor, der für seine Romane bereits zahlreiche Auszeichnungen erhielt, arbeitet als Onkologe und Palliativmediziner und legt mit „Handbuch der Pflanzenkrankheiten“ im Haymon Verlag einen außergewöhnlichen Gedichtband vor.

© Copyright Haymon Verlag

Einen hochwertigen Eindruck macht bereits die Covergestaltung. Die Künstlerin und Tätowiererin Zhon hat eigenes für den Band reduzierte, filigrane Zeichnungen angefertigt, die sich alle im selben Farbschema bewegen und somit einen harmonischen und stimmigen Eindruck vermitteln. Weiß wie der Arztkittel ist der Umschlag, sanfte Rottöne dominieren die zarten Illustrationen. Hier wird die These, welche den Gedichten innewohnt, bereits treffend visualisiert, denn oft ist kaum unterscheidbar, ob es sich um menschliche Adern oder um Wurzeln handelt, ob dies eine Fichte mit dünnen Zweigen oder ein Brustkorb, jenes ein Baumstamm oder ein Arm mit Gelenken ist.

Die Gedichte erzählen von der Ähnlichkeit zwischen Erkrankungen beim Menschen und bei Pflanzen. Scheinbar nahtlos vermischen sich Schilderungen der PatientInnen im Krankenhaus mit Zitaten aus Lehrbüchern über Pflanzenpathologie:

man wird ihm einige zehen nehmen, vielleicht ein bein. / die wurzelarbeit lässt eben 
leider / mit steigender trockenheit nach.

Fuchs hat schon länger an diesem Konzept gefeilt und schließlich mit Auszügen aus dem Gedichtband bereits 2018 den Feldkircher Lyrikpreis gewonnen. Dass sein Buch nun ausgerechnet in einer Zeit erscheint, in der sich wohl mehr Menschen als je zuvor mit dem Thema „Krankheit“ auseinandergesetzt haben, verleiht dem Buch eine unverhoffte Aktualität.

Überraschend ist der Band, wie der Titel bereits nahelegt, in der Wahl seiner intertextuellen Bezüge: Nicht ein literarisches Werk, sondern das „Handbuch der Pflanzenkrankheiten“ von Paul Sorauer aus dem Jahr 1909 bildet hier den roten Faden. Angereichert sind die Gedichte zudem mit Zitaten aus diversen Gartenlexika aus dem 17. und 18. Jahrhundert, die Fuchs ebenfalls dem Handbuch entnommen und in Versform gebracht hat. Unterteilt sind die Gedichte in einzelne „kurse“, die – wie in einem naturwissenschaftlichen Seminar – jeweils unterschiedliche Aspekte der Pflanzenkrankheiten behandeln, etwa „das wesen der krankheit“ oder „ungünstige bodenverhältnisse“.

Ein Gärtner muss manchmal wie ein Arzt agieren und reagieren, wenn seine Schützlinge Symptome etwa der Wurzelfäule oder eines Schädlingsbefalls aufweisen. Mit dem nüchternen Blick des Forschers spürt Fuchs der aufregenden Frage nach, ob Krankheit das Verbindende zwischen Mensch und Pflanze sein kann. Der Wille zum Leben wohnt, um in der Sprache der Botanik zu bleiben, auch einem sogenannten „Schädling“ inne, und wer hat das Recht, zu definieren, was schädlich und was nützlich ist? Fast wie nebenbei berührt Fuchs damit auch eines der brennendsten Themen der heutigen Zeit, indem er der Entfremdung des Menschen von der Natur etwas entgegensetzt. Wer die Ähnlichkeit zwischen sich selbst und einem Baum erkennt, wird über einen nachhaltigen Umgang mit Ressourcen vielleicht neu nachdenken.

Fuchs‘ Lyrik ist reich an Denkanstößen und Anregungen für philosophische Gespräche. Eine (unerwünschte?) Nebenwirkung mag darin bestehen, dass die emotionale Komponente etwas zu sehr in den Hintergrund tritt. Die rein naturwissenschaftliche Beschreibung von Krankheit klammert Gefühle erst einmal aus. Das nicht medizinisch geschulte Publikum könnte daher an einigen Stellen vielleicht eine Pointe nicht verstehen oder etwas vermissen: Während ÄrztInnen bei ihrer Arbeit aus gutem Grund sachlich und professionell vorgehen müssen, mag die Leserschaft eines Gedichtbands eher daran interessiert sein, sich in das Individuum einzufühlen. Der handwerkliche Aspekt der Heilkunst ist etwas, worin die meisten LeserInnen wahrscheinlich nicht eingeweiht sind, sodass manche medizinische Insiderwitze ihnen leicht makaber erscheinen könnten.

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Umso erfreulicher ist daher der auffallende Tonwechsel im letzten Teil des Bandes, der Sonette und eine Reprise enthält. Hier kommt die Gefühlsebene ins Spiel, erstmals wird die rein analytische und diagnostische Brille abgelegt und mehr Nähe zu den PatientInnen zugelassen. So heißt es etwa über eine alte, totkranke Frau:

sie war erst seit der diagnose / frei; für das echte, große / leben aber umso mehr bereit.

In diesem Abschnitt zeigt sich am besten die Dichtkunst von David Fuchs, seine Sonette sind rhythmisch und verspielt. „Handbuch der Pflanzenkrankheiten“ zeigt eindrucksvoll, dass es sehr wohl gelingen kann, heutzutage noch Gedichte über Blumen und Bäume zu schreiben.

David Fuchs: Handbuch der Pflanzenkrankheiten. Gedichte. Haymon, Innsbruck/Wien 2021. 140 Seiten. Euro 22,90

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