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Rasende Lyrik

Rasende Lyrik

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Petra Ganglbauer liest Dine Petriks Handgewebe lapisblau


Die Signatur der Gedichte von Dine Petrik ist eine unumstößliche. Imaginiert man während der Lektüre die hervorstechende und eigenwillige Lesart der Autorin, entsteht eine Zusammenschau aus Stimmführung, Rhythmus und Geschwindigkeit.

Auch wenn man die Vortragsweise Dine Petriks nicht kennt, stellt sich ein nachdrücklicher Sprachklang während der Lektüre ein. Stets ist den Texten auch eine Art Klage zu eigen; jedoch eine, die auf äußerster Disziplin in der Formäußerung beruht, auf der Entscheidung, es mit den Fährnissen des Lebens aufzunehmen.

Cover © Verlag Bibliothek der Provinz

ALARM

noch ist nichts ausgetanzt 
noch ungesungen alles in
bewegung, bestensfalls
gestaute sätze, artgeredet, luft 
gelacht, in reichweite das glück 
nichts absolutes, hitze

Straff komponiert sind diese Texte, von einer ungeheuren Wort-Dichte, voll Temperament und bisweilen von einer nachvollziehbaren Aufmüpfigkeit. Ihre Ironie speist sich aus großer Empfindsamkeit der Zerstörung jeglicher Spezies gegenüber.

KEINER HÖRT

viel zu selten noch 
lässt er sich hören 
der gesang – der walgesang in 
den von menschenhand 
versauten ozeanen

Zugleich werden die Auswüchse spätkapitalistischer Usancen auf die Spitze getrieben:

ABHEBEN

nicht wirklich was für mich, sagt 
ist empirisch nichts erhoben, sagt 
prinzipiell nichts unanständiges 
pfeift sich nichts, mehr ums 
geklapper seiner lackschuhe 
beim stehen, genagelt, sagt

Gestanzte Widerrede

Schon die Titel der Gedichte muten wie Prägungen an, gestanzte Wirklichkeitssegmente, Punzierungen: „VERSEHRT“, „UNART“, „ZÄHNIG“ oder „TATTOOS“. Analog dazu und zornig auch, widerständig, laut, die Rede ist vom Verlorenen, Unwiederbringlichen.

WÜSTENSEGEL

(…)
der riss durchs alphabet 
nachdem längst schon das lapis 
blau der göttin Ischtar leer 
geplündert, längst der 
letzte zikkurat zertreten 
von soldatenstiefeln 
platt getreten ist

Dine Petriks Gedichte verkörpern die Gewalt und den Krieg – „fehlt das wort / zerfällt das haus“, heißt es in „BEIRUT“ –, legen offen, was an Resten von Leben noch übriggeblieben ist: das Vergiftete, Zerstörte; erzählen auch davon, was ausgelöscht wurde: „selbst meine asche / : ihr habt sie verstrahlt“, notiert das Gedicht „VERSTRAHLT“.

Heftige, souverän komponierte, virtuose Texte sind das, die mitunter an Gesänge erinnern; überdies verweist Dine Petrik auch immer wieder auf Werke von Komponisten, etwa Johann Sebastian Bach; wie überhaupt Intertextuelles eine Rolle spielt.

See Also

Was den Gedichten ebenfalls inhärent ist, ist eine potenzielle Energie, die eine bewusste Unschärfe der Standortbestimmung des „lyrischen Ichs“ erzeugt. In einem unausgesetzten Kräftemessen finden sich das Hier und das Dort, das Noch-Nicht wie das Nicht-Mehr. Es ist kein Austarieren möglich, keine Zentrierung, zu furios, zu gnadenlos verfährt die Welt. Das sagt allein schon der Gedichttitel: „BLEIBEN GEHEN“. Oder das folgende Gedicht:

ANDANTE

(…)
strauchle oft über mich 
selbst, oft neben mir 
zu nah bei dir
längst nicht mehr da 
: was mach ich dort –

Lyrischer Gegenwind

Manche der Sequenzen muten wie Filmszenen an. Die Medien- und Informationsgesellschaft bleibt insgesamt nicht verschont. Dine Petrik verwendet inmitten der poetisch funkelnden Wörter auch immer wieder und ganz bewusst, zynisch mithin, Zeitgeistwörter wie „Hashtag“, „Fake“ oder „Lockdown“. Sie fügen sich in den restlichen Text jeweils so ein, dass sich neue Bedeutungszusammenhänge eröffnen oder das Gesagte noch verstärkt wird, überhöht sozusagen.

Es gibt keinen Stillstand in diesen vitalen Texten, welche die Poetisierung des Gesellschaftsalltags vorantreiben. Kraftvolle lyrische Anläufe sind das: Raffungen, Änderungen des Lautstärkepegels, Retardierungen, Beschleunigungen sind nur einige der Methoden, die die Autorin (nicht nur) in diesem Buch anwendet. Dine Petrik tut es immer und immer wieder, mit jedem Buch ein weiteres Mal. Auch wenn der Gegenwind aus globaler Ignoranz gegenüber dem mutwilligen Zerstören der Erde und all ihrer Bewohner, wie es scheint, stetig zunimmt.


Dine Petrik: Handgewebe lapisblau / lyrics artgeredet vertont. Verlag Bibliothek der Provinz, Weitra, 2023. 88 Seiten. Euro 13,–

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