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Der elementare Blick

Der elementare Blick

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Petra Ganglbauer liest Gerhard Ochs’ Raben sind auch nur Vögel


Es ist, als ginge man während der Lektüre des aktuellen Buchs von Gerhard Ochs ganz bewusst ein Stück zurück in Zeit und Raum, in eine Welt aus Traum, ein wenig Sentimentalität und, mehr noch, Erinnerung. Als finde man die einfache Sprache der Dinge und Wesen wieder; den genauen Blick auf das Kleine und Entscheidende im Leben.

So unprätentiös die Miniaturen und Gedichte auf den ersten Blick scheinen, so weit gespannt ist die Wahrnehmung dahinter. Gerhard Ochs wechselt literarisch ganz selbstverständlich zwischen Mikro- und Makrokosmos, induktivem und deduktivem Erfassen der Welt in all ihren Erscheinungsformen. Er scheut nicht davor zurück, auch dem Spirituellen, Unaussprechlichen, Feinstofflichen eine feine Stimme zu geben. Wie in dem Gedicht „Auf ein Glas“:

Cover © Klever Verlag

Licht, du suchst nicht, du findest die lockere Weite weißer Wolken.
Als ich mit dir falle und falle, spüre ich einen Augenblick 
das vollkommene Gleichgewicht zwischen Wachen und Traum.

Leise Gesten

Dabei vollzieht Gerhard Ochs eine Verschmelzung der unterschiedlichen Ebenen von Wirklichkeit auf unaufdringliche Weise; ganz ohne Pathos. Gerade deshalb lassen sich die Texte oft erst durch das mehrmalige Lesen in ihrer eigentlichen Tiefe erfassen. Zu sehr sind wir an die grellen, überdeutlichen Gesten des Medien- und Informationszeitalters gewöhnt.

Der Autor lässt den Blick zwischen zarter Aufmerksamkeit und der Liebe zu deutlichen Szenen hin und her schweifen und schafft so einen vergrößerten Wahrnehmungsradius. Etwa in „Kalk, Sand, Stein“:

Es sind alte Männer, die auf Terrassen sitzen und über die Welt
sinnieren, während sie mit ihren langen Haaren spielen. 
Mücken kreisen um ihre Köpfe, die Zeit steht still. 
Hin und wieder zieht ein blaues Wolkenband durch die Augen der Sonne.

Dennoch ist den lyrischen Annäherungen an die Welt das Disparate inhärent. Es ist, als wollte der Autor eine meisterliche Übung aus Kontemplation und Zentriertheit mitten im Strudel der Zeit demonstrieren.

„Wir hatten das Durcheinander einer Unverständlichkeit vor Augen“, heißt es in „Zeitenwende“. Und in „Bitte nicht berühren“:

Am Abend des Wahnsinns, der nackt ist und klar, hat der Raum
zwischen den Dingen die Form von unverständlichen Worten

Zwischen Verlangsamung und Beschleunigung

Der Band ist gattungsüberschreitend und besteht aus lyrischen Kurzprosastücken und Gedichten, wobei anzumerken ist, dass beide vom Inhalt her einander durchaus ähnlich sind und einander auch ergänzen; evident sind in beiden Fällen die Dinge des Alltags, der Blick ins Andere, Jenseitige und die Liebe zum Detail. Jene Texte allerdings, die sich als Gedichte ausweisen lassen, sind straffer, vom Duktus her lauter mithin. Sie sind meist aus Listen, Parallelismen oder auch Lautmalerei gebaut und dadurch auch beschleunigter im Gestus. Der emotionale Pegel aufmüpfiger, verdeutlichter als in den Prosaminiaturen. Wie in „Wiegendes, Biegendes“:

See Also

Mund um Nase, Auge um Braue,
Katze um Frau, Mann um Maus,

und dann dieses unbewegte Haus, eine Genugtuung, 
und jenes bewegliche Messer, eine Versuchung, 
(…)

Die lyrischen Miniaturen hingegen sind stark verlangsamte Annäherungen an das Offensichtliche ebenso wie an die Zwischentöne. Die Sätze sind in den meisten Fällen schlicht gebaut, jedoch voll Magie und inhaltlicher Überraschungen.

Entropie und Vergänglichkeit sickern jedoch auch in diese behutsame Weltenschau ein; der Gefühlspegel, welcher sich durch die Szenen zieht, ist ein ausgeglichener, im besten Sinn gleichgültiger.

Vom Wesen der Unwissenheit

Gedichte und Miniaturen kommen in dem Buch als Gemisch vor, eine Sammlung also, die der Autor, der sich selbst im letzten Text als „unwissend“ bezeichnet, vorlegt.

Nehmen wir das Wort „unwissend“ genauer unter die Lupe, so wird klar, dass sich Gerhard Ochs von rationalen, linearen, chronologischen Denkmustern distanziert; von einer eindimensionalen, lediglich auf das Sichtbare ausgerichteten Weltsicht; vom Zwang, alles erklären zu müssen und gleichzeitig nichts wirklich zu begreifen, weil das menschliche Ermessen oder genauer Vermessen der Wirklichkeit nur ein winziges reduziertes Instrument sein kann, um die Existenz von allem in ihrer ganzen Dimension zu begreifen.


Gerhard Ochs: Raben sind auch nur Vögel. Erzählungen und Gedichte. Klever Verlag, Wien, 2024. 130 Seiten. Euro 20,–

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