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Schreiben als schmerzhafte Stelle und heilende Salbe

Schreiben als schmerzhafte Stelle und heilende Salbe

Die Lyrikerin Christine Lavant kann dank dreier Neuerscheinungen endlich neu gelesen werden.
Eine Hommage zum 50. Todestag von Kirstin Breitenfellner


Ingeborg Bachmann Superstar. Zum 50. Todestag der wohl berühmtesten Kärntner Dichterin, gestorben am 17. Oktober 1953 im Alter von 47 Jahren, gab es genügend medialen Wind. Und das nicht erst, als am 19. Oktober 2023 Margarethe von Trottas Spielfilm „Reise in die Wüste“ in die Kinos kam. Er zeigt das Glamour-Paar der Nachkriegsliteratur in weich gezeichnetem Licht in luxuriösem, bürgerlichem Ambiente und modisch eleganter als im echten Leben. Ihre emotionale Tragödie lässt dieser Film die Zuseher kaum nachempfinden. Wir haben es nicht gut gemacht, unter diesem Titel erschien im Jahr zuvor der Briefwechsel bei Suhrkamp, inklusive Briefen von Verwandten, Freunden und Bekannten. Auch das Literaturmuseum der österreichischen Nationalbibliothek eröffnete das Bachmann-Gedenkjahr bereits im November 2022, mit einer eine Sonderausstellung unter dem Titel „Ingeborg Bachmann. Eine Hommage“.

Der 50. Todestag der elf Jahre älteren Christine Lavant, gestorben am 7. Juni 1953, ging hingegen beinahe unter. Dabei gibt es auch hierzu eine Reihe von Neuerscheinungen, allen voran die umfangreichen, von Klaus Amann ausgewählten biografischen Schriften unter dem Titel Ich bin maßlos in allem.

Cover © Wallstein Verlag

Amann hatte zusammen mit Doris Moser auch die erste Werkausgabe Lavants begleitet, die zwischen 2014 und 2020 ebenfalls bei Wallstein erschien. Da der größere Teil von Lavants Werk zu Lebzeiten unveröffentlicht blieb, konnte diese Edition das Bild der Außenseiterin des Literaturbetriebs, neuntes Kind eines Bergarbeiters und einer Näherin, damit maßgeblich korrigiert werden. Die Nachkriegszeit hatte sie durch die Auswahl von Gedichten mit religiösen Themen – unter Ausschluss ihrer erotischen und blasphemischen Texte – zur katholischen Volksdichterin stilisiert, ein Bild, das nun endgültig Vergangenheit sein dürfte. Lavant litt als Kind an der Hautkrankheit Skrofulose, die schließlich mit einer Röntgenbestrahlung geheilt werden konnte. Diese war allerdings zu hoch ausgefallen und hatte Narben hinterlassen, die Lavant mit dem Kopftuch, das zu ihrem Markenzeichen werden sollte, abzudecken versuchte.

Neuerscheinungen mit Neuheitswert

Christine Lavant war Autodidaktin, aber kein bisschen bescheiden und schon gar nicht bieder. Als klarsichtige, direkte, oft kompromisslose, natürlich leidgeprüfte, aber auch heitere, selbstironische und vor allem selbstbewusste Person lernt man sie in ihren Briefen kennen, die den größten Teil der Publikation ausmachen. Flankiert werden sie von Äußerungen von Zeitgenossen. Die von Krankheit geprägte Kindheit und die einzige große, tragische Liebe zum elf Jahre älteren, verheirateten Maler Werner Berg gehen unter die Haut und zu Herzen. Ihr Scheitern bedeutete auch das endgültige Verstumme der kraftvollen Stimme, die man mit ihrer zarten, bescheiden wirkenden Erscheinung dieser Ausnahmedichterin immer noch so schwer in Verbindung zu bringen vermag. Das umfangreiche Werk (1500 Gedichte und 1500 Seiten Prosa) entstand wesentlich in den zehn Jahren zwischen Kriegsende und der Kontaktsperre zwischen den beiden Liebenden, die Werner Bergs Frau Mauki nach dessen Selbstmordversuch erwirkt hatte.

Auch die beiden Publikationen von Jenny Erpenbeck setzen diese Stoßrichtung der „Ent-Katholisierung“ fort. Als die ostdeutsche Autorin Mitte der 1990er Jahre nach Graz zog, stieß sie durch einen Zufall auf Christine Lavant, und ihre Faszination für diese hält bis heute an. Zum Gedenktag erstellte sie eine Auswahl von Gedichten unter dem Titel Seit heute, aber für immer, die dazu angetan ist, Lavant endgültig von den Zuschreibungen einer unschuldigen Naiven zu befreien.

Cover © Wallstein Verlag

Erpenbeck setzt Lavant aber auch in einem luziden Essay mit dem schlichten Titel Über Christine Lavant ein würdiges Denkmal: eine Biografie in a nutshell, flankiert von Gedichten. Dieses schmale Büchlein, so klug und empathisch, dass man getrost von Kongenialität sprechen kann, eignet sich auch hervorragend als Einführung in Person und Werk.

Cover © Kiepenheuer & Witsch Verlag

Mag sein, dass Lavant weniger Glamour besaß als ihre Landsmännin Ingeborg Bachmann. Lavants Biografie – ihr sozialer Aufstieg, ihre Gefährdung während der NS-Zeit, ihre Förderung u.a. durch ehemalige Nazi-Größen, ihr Verstummen nach dem Scheitern ihrer großen Liebe – besitzt aber fast noch mehr Brisanz. Und das nicht nur in gesellschaftspolitischer Hinsicht, sondern auch in Bezug auf die außergewöhnliche Persönlichkeit der Dichterin, deren Künstlername dem Fluss entliehen ist, der durch ihren Heimatort St. Stefan fließt. Man assoziiert das Wort Lava. Und Christine Lavant war ein Vulkan, ihre Schaffenskraft eruptiv. Nicht von ungefähr wählte Klaus Amann für die biografischen Schriften das Zitat aus einem Brief: „Ich bin maßlos in allem.“

Eine „sich einfach gebende komplizierte Frau“

Lavants literarisches Talent erscheint aus dem Nichts, getriggert von einer großen Leselust seit Kindheitstagen, ausgelöst von der Lektüre von Knut Hamsuns „Das letzte Kapitel“ und Rainer Maria Rilkes Gedichten. Sie findet sofort eine eigene Stimme – und glücklicherweise auch Menschen, die das erkennen und sie fördern: zunächst ihre Ärzte, aber bald auch Literaten und Verleger. Eine „sich einfach gebende komplizierte Frau“ nennt Amann Lavant im Vorwort. In Wahrheit war sie beides gleichzeitig, das macht die Faszination aus, die von ihr ausgeht.

„Schreiben ist halt das Einzige was ich habe. Es ist meine schmerzhafte Stelle u. zugleich die heilende Salbe“, hatte sie einmal an ihre Freundin und Förderin Paula Purtscher geschrieben. Nach dem Absetzen dieser „Medizin“ wurde sie ihres Lebens nicht mehr froh. „Ich bin anspruchsvoll? Doch das bin ich. Und bin es bewusst!“, charakterisiert sie sich selbst in einem späteren Brief an Prutscher. Das betraf auch die Liebe, die sie wie ein Schicksalsschlag ereilte, als sie im November 1950 auf einer Tagung zeitgenössischer Autoren und Komponisten in St. Veit an der Glan teilnahm und den fünffachen Vater Werner Berg kennenlernte.

Lavant verbrannte neben zahlreichen Werken auch die meisten an sie geschickten Briefe – außer jenen von Berg. Ihren Briefwechsel liest man mit Erschütterung und Beklemmung. Sowohl das Himmelhochjauchzende als auch die Leidensfähigkeit scheinen aus einer entfernten Zeit zu stammen. „Du Schönste, Du – die Erhabenheit“ und „schönste, größte Geliebte aller Gestirne“, nennt er sie. „Ich bereue es nicht u. keine Stunde unseres Jahres tut mir leid“, schreibt sie ihm. Und: „Ich bin wie eine Verdammte die von Engeln weiss.“ „Innen werde ich immer den [Weg] zu Dir gehen, aber die Wege treffen sich nicht mehr im Endlichen“, antwortet er nach der ersten von vielen Trennungen. Pathos, das stimmt, aber beiden gelingt es auch immer wieder, unvermittelt in Selbstironie und einen wilden Humor zu verfallen.

Glücklicherweise sind die Gedichte, die Lavant Berg regelmäßig schickte und bei deren Auswahl für ihren zweiten Gedichtband er ihr half, erhalten geblieben. Sie schickte sie an den Otto Müller Verlag, obwohl sie wusste, dass die Familie Berg damit kompromittiert werden würde. „Meine Gedichte waren das einzige Mittel meiner Hoffart“, schreibt sie an Mauki Berg, „und ich musste hoffärtig sein um nicht vor Schande zu sterben.“ Ihren eifersüchtigen Ehemann, den Maler Josef Habernig, dessen Lebensunterhalt sie so wie ihren eigenen jahrelang mit Stricken bestritten hatte, ertrug und pflegte sie trotzdem bis zu dessen Tod im Jahr 1964.

Was ist Lesen? Was bedeutet Schreiben?

„Was ist Lesen? Wie geht das, dass man lesend mehr versteht, als man weiß?“, fragt Erpenbeck in ihrem Essay und antwortet mit einem Zitat von Lavant: „Wenn ich dichtete, risse ich jede Stelle Eures Daseins unter Euren Füßen weg und stellte es als etwas noch nie von Euch Wahrgenommenes in Euer innerstes Gesicht.“ Der Konjunktiv sei hier freilich nicht notwendig, kommentiert Erpenbeck. Denn so sei es ihr tatsächlich gegangen, als sie zum ersten Mal Lavants Gedichte gelesen habe.

Ein aufschlussreiches Kapitel widmet Erpenbeck dem „großen Schweigen“ Lavants in den zehn Jahren vor Ende des Zweiten Weltkriegs. 1935 hatte die stets selbstmordgefährdete Zwanzigjährige sich selbst in die Landesnervenanstalt Klagenfurt eingeliefert. Wegen ihrer Heiratspläne mit dem um 36 Jahre älteren Habernig hatten ihren Schwestern sie 1939 erneut einliefern lassen wollen. 1941 startete dort das sogenannte T-Progamm, in dem 600 laut Nazi-Diktion „lebensunwerte“ Patientinnen und Patienten ermordet wurden. Den Verantwortlichen wurde im Frühjahr 1946 der Prozess gemacht. „Ein halbes Jahr später setzt Christine Lavant sich hin und schreibt ihre Aufzeichnungen aus dem Irrenhaus. (…) Sie schreibt auch über sich, die leicht an deren Stellen hätte sein können.“ Während der NS-Zeit fühlte Lavant, dass sie, wie sie es einmal ausdrückte, „zu Stummheit verurteilt“ war.

Nach dem Ende ihrer Liebesbeziehung hingegen scheint das Verstummen eine Trotzhandlung. „Das Gedichteschreiben ohne ein Gegenüber ergibt für Christine Lavant keinen Sinn mehr“, argumentiert Erpenbeck, nicht eingedenk, dass Lavant schon produktiv gewesen war, bevor sie Werner Berg kennengelernt hatte. Nach 1955 veröffentlichte sie zwar weiterhin Gedichtbände mit älteren Gedichten, erhielt finanzielle Unterstützung, Stipendien und Preise, aber sie zog sich weitgehend aus dem Literaturleben zurück.

„Wenn ich nicht mehr dichten kann, dann habe ich auch nicht das Recht, Menschen zu treffen, welche ich als Chr. Lavant kennengelernt habe. Das ist doch klar? Was kann euch an dem armseligen Strickweiblein liegen? Mit diesem habt ihr ja nichts gemein. Dieses hat ein schlechtes, zusammengeschrumpftes Stück Leben, den abgenutzten Lappen eines von Haus aus wertlosen Lebens. Niemand von euch würde diesen Lappen auch nur mit Handschuhen anfassen wollen, so ist es“, schreibt sie schon 1950 an Emil Lorenz – mit klarem Blick auf soziale Ungleichheiten, die sie bei realen Begegnungen jedoch spielend zunichte machen konnte, indem sie auch sozial Höhergestellten auf Augenhöhe begegnete und sie mit ihrer Unverblümtheit zu entwaffnen wusste. Trotzdem verkehrte sie auch nach 1955 mit Literaten und lernte etwa den 20 Jahre jüngeren Thomas Bernhard kennen, der 1980 für Suhrkamp eine Auswahl ihrer Gedichte treffen sollte.

Wem gehört Christine Lavant?

Eine Auswahl aus einem Gesamtwerk zu treffen bedeutet naturgemäß, auch die „eigene“ Christine Lavant zu zeigen. Lavants lyrisches Werk prägt nach Erpenbeck, wie sie im Nachwort schreibt, vor allem Mut: „die Dinge in radikaler Schmucklosigkeit beim Namen zu nennen“ und „Anklage zu erheben gegen leere Formeln katholischen Glaubens“ sowie ein „Aufreißen der vermeintlich kleinen, engen, eigenen Welt hin zum existenziellen Fragen“. Um einen Einblick in die Bandbreite von Lavants lyrischen Themen zu bieten, seien in Folge einige der hier versammelten Gedichte zitiert. Nicht wenige der von Erpenbeck ausgewählten Gedichte lassen autobiografische Elemente erkennen, wie etwa folgendes, das Lavants Kinderlosigkeit thematisiert.

Auf meinen Fingernägeln glänzt das Licht
der Stubenlampe und im Birnenlaub
die ersten Tropfen eines Abendregens.
Verwirrte Schwalben knüpfen mir ein Netz
aus schwarzen Flügen um die Angstgedanken.
Sehr schön geborgen ist mein armes Herz
im Rot der Blume, die die Nachbarsfrau
mir gestern schenkte, weil am Muttertag
sich meine Vase sonst verstecken müsste.

Einen weiteren Themenschwerpunkt bildet der Schmerz der unerfüllten Liebe.

Ach schreien, schreien! – Eine Füchsin sein
und bellen dürfen, bis die Sterne zittern!
Doch lautlos, lautlos würge ich den bittern
Trank deines Abschieds, meinen Totenwein.

Und schleiche kriechend, schattenlos schon fast,
Geripp aus Martern in der Stirn metallen
durch Schlangenzweige, die vom Walde fallen,
darin du gestern mich verwunschen hast.

In deiner Spur verreckt das fromme Wild,
die roten Vögel unserer Zärtlichkeiten,
der schwarze Jäger will nach Hause reiten,
such nach dem Krebs im trüben Himmelsbild,

Zurück will alles. Auch der Totenwein
in meiner Kehle würgt sich noch nach oben.
Ich hör mein Herz die Gnade Gottes loben,
das dringt wie Bellen mir durch Mark und Bein.

Manche Gedichte überraschen mit einer Drastik, die für das Werk von Lavant nicht typisch zu sein scheint und doch zu dessen vielen Facetten gehört, wie folgendes über die Schlaflosigkeit der kettenrauchenden, Schlafmittel konsumierenden und trotzdem nachts schreibenden oder spazieren gehenden Dichterin:

Nur des Schlafes wilder Nebenzweig,
ein Bastard, von Drogen großgezogen,
nimmt sich manchmal meiner Seele an.
Zwei Missbrauchte dienen dann einander,
trösten das, was noch zu trösten ist,
und verbergen gütig, was sie wissen.
Halbe Träume stellen sie ins Leben,
wächserne und ohne Angesicht,
ohne Anspruch auf Geduld und Pflege,
schmelzend schon beim ersten Hahnenruf.
Aber dennoch sind es kleine Söhne,
notgetaufte, alle dem geweiht, 
der dies Paar einander preisgegeben
wie zwei Sklaven oder Straßenköter,
während sich der gute Edelschlaf
nur zu hochgebornen Seelen legt.

Andere Gedichte erfrischen durch einen übermütigen Mutwillen:

Durch meinen schwarzen Schatten geht
vergnügt ein weißes Huhn.
Ich kann kein Schrittlein tun,
verzaubert und verdreht
muss ich nur betteln: tritt mir nicht
in den Verstand, ins Augenlicht,
nicht in das Herz hinein.
Doch scharrt das eine Bein
schon gelb und fröhlich kreuz und quer
und lockt den roten Hahn daher,
ich weiß nicht, was sie teilen.
Ist es ein Wurm? Ist es ein Korn?
Vielleicht auch nur der scharfe Dorn,
der nie mein Herz ließ heilen.
Ich schau den beiden nimmer zu,
sie gehen wie auf Seidenschuh
nach Irgendwo, nach Hörnichthin ...
Mein Schatten darf sich jetzt verziehn.

Zum Schluss des Bandes überwiegt die düstere Anklage eines fernen Gottes, wie in folgender Parodie des „Vater unser“:

Samenkugel die du wehst über allem
unsäglich bleibe dein Wesen
zu falle uns dein Korn
damit wir es tragen
oben als Blüte und unten als Wurzel.
Gewähre unserem Wachstum das Erdreich
vergib uns die fruchtlosen Zeiten
wie auch wir der Dürre und Kälte vergeben.
Lass uns nicht Sterne sein wollen
sondern das Nächtige schlicht überstehen
Amen.

Der Band endet, schreibt Erpenbeck im Nachwort, mit Gedichten die Einsamkeit, Verlassensein, Schlaflosigkeit und Todesgedanken thematisieren. Manchmal schleicht sich angesichts von Erpenbecks Auswahl der Verdacht ein, dass in dem legitimen Wunsch, als Ergänzung zur Nachkriegs-Persona Lavants die „andere“, sprich die ungläubige, anklagende, wider den Stachel löckende Christine Lavant zu zeigen, die „vollständige“ Lavant verschüttgeht. Denn Christine Lavant war und bleibt auch eine Sängerin des Mondes, des Landlebens, der Natur, kurz eine Poetin im Wortsinn des Alltagsgebrauchs. Um das Bild der Dichterin zu komplettieren, blättere man deswegen entweder zu den tröstlicheren Gedichten am Beginn des Bandes zurück.

Seit heute, aber für immer,
weiß ich: Die Erde ist wirklich warm –;
ich gebe der Nessel den Brand zurück
und dem Igel die Stacheln.

Seit heute ist alles mein Schutzpatron
und die ganze Welt eine Weidenwiege,
darin uns der Windstoß zusammenschaukelt
und unsren Atem verknotet.

Oder man schaffe sich die zweibändige Gesamtausgabe des lyrischen Werks an – und mache sich ein eigenes Bild dieser schillernden Wortgewaltigen. Band eins, Zu Lebzeiten veröffentlichte Gedichte, hebt mit einem traumwandlerisch sicheren Text an, der gewiss noch große Vorbilder wie Rilke und Novalis durchhören lässt, aber bereits die ganze, große Lavant enthält:

Abend im März

Das silberne Maisstroh vom vorigen Jahr 
weht vergessen und schütter wie bleiches Haar
auf dunkelnden Äckern im Winde.
Vom Dorfe her singt das Gesinde
die ältesten Lieder von Liebe und Tod.
Es bebt in den Pfützen das Abendrot,
und der Entenschrei schnarrt in den Auen.
Verloren im bebenden blauen
schattigen Schilfe ein Taucher weint.
Da erschreckt sich dein Herz so, als wär es gemeint
und erwartet von jeglichen Dingen.
Und leise beginnt es zu singen.

Und dann erwerbe man natürlich noch die Prosa, etwa die Erzählung Das Wechselbälgchen, der Klaus Nüchtern im Falter einst den treffenden Titel „Weltliteratur aus dem Lavanttal“ verpasste. Danach wird man sich dann vermutlich auch die Gesamtausgabe zulegen wollen.

Cover © Wallstein Verlag

See Also
dichterloh


Christine Lavant: Seit heute, aber für immer. Gedichte. Ausgewählt und mit einem Nachwort von Jenny Erpenbeck. Wallstein, Göttingen, 2023. 160 Seiten, Euro 24,70

Christine Lavant: Ich bin maßlos in allem. Biographisches. Ausgewählt und kommentiert von Klaus Amann. Wallstein, Göttingen. 455 Seiten, Euro 35,-

Jenny Erpenbeck: Über Christine Lavant. Kiepenheuer & Witsch, Köln, 2023. 146 Seiten, Euro 20,60

Christine Lavant: Werke in vier Bänden. Herausgegeben von Klaus Amann und Doris Moser im Auftrag des Robert-Musil-Instituts der Universität Klagenfurt und der Hans Schmid Privatstiftung. Wallstein, Göttingen, 2014–2020. 2998 Seiten, Euro 131,60

Christine Lavant: Das Wechselbälgchen. Erzählung. Neu hg. und mit einem Nachwort versehen von Klaus Amann. Wallstein, Göttingen, 2012. 104 Seiten, Euro 19,60


Veranstaltungstipp:

Jenny Erpenbeck über Christine Lavant

Dienstag, 28. Novmeber 2023 um 19:00
Österreichische Gesellschaft für Literatur, Herrengasse 5, 1010 Wien

EUROPA.LITERATUR

„Anlässlich von Christine Lavants 50. Todestag spricht Jenny Erpenbeck über ihre seit Mitte der 90er Jahre andauernde Faszination für die Kärntner Lyrikerin. Ebenfalls im Mittelpunkt des Abends steht eine von ihr getroffene Auswahl von Gedichten Christine Lavants.“

Moderation und Gespräch: Manfred Müller

Gemeinsam mit der ›Internationalen Christine Lavant Gesellschaft‹

mehr Information zur Veranstaltung finden Sie hier

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