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30 Bände „keiper lyrik“

30 Bände „keiper lyrik“

Bemerkungen des Herausgebers Helwig Brunner zu einem kleinen Jubiläum


„Wenn einer eine Reihe macht, dann kann er was erzählen“, paraphrasiere ich Matthias Claudius und darf mich hier zur Buchreihe keiper lyrik äußern, die herauszugeben eben auch eine Reise ist, auf der ich mich seit 2011 befinde. Bunt wie ein Regenbogen stehen die 30 Bände im Regal; auch inhaltlich weist das breit gefächerte Programm der Reihe keiper lyrik sehr unterschiedliche Färbungen auf, die sichtbar machen, was zeitgenössische deutschsprachige Lyrik alles sein kann.

In den letzten Jahrzehnten hat man in Österreich einige Lyrikreihen kommen und gehen sehen: Lyrik aus Österreich bei Grasl und Neue Lyrik aus Österreich bei Berger sind Geschichte, mit der Limbus-Reihe, der Lyrik der Gegenwart in der Edition ArtScience und der keiper-Reihe gibt es drei etablierte Reihen, und dieser Tage wurde im Klingenberg Verlag in Graz eine neue Reihe mit Übersetzungsschwerpunkt aus der Taufe gehoben.

Warum erscheint ein großer Teil der heimischen Lyrikproduktion in Reihen, ganz im Gegensatz etwa zu den stets als Einzelwerke präsentierten Romanen? Julian Schutting dichte einmal: »Jedes Gedicht ist eine Übersetzung des einen Gedichts, das es nur in Übersetzungen gibt«; so mag man eine Lyrikreihe als großes Übersetzungsprojekt auffassen. Lyrikreihen folgen einem anthologischen Prinzip, jeder Band ist ein Beitrag zum Gesamtkorpus der Reihe und verweist auch auf die vorangegangenen Bände, was nicht zuletzt auch eine längere Wahrnehmungsdauer im schnelllebigen Literaturbetrieb mit sich bringt. So wird, bei insgesamt ohnehin sehr bescheidenen Verkaufszahlen von Lyrik, vielleicht noch nach Jahren der eine oder andere Band wahrgenommen und verkauft.

Apropos Wahrnehmung und Verkauf: Lyrikreihen sind idealistische Projekte idealistischer Menschen. Sie bleiben weit unter der Wahrnehmungsschwelle einer breiteren Öffentlichkeit und bringen allen Beteiligten – Verlag, Dichter:innen und Herausgeber:innen – in der Regel bestenfalls ein Taschengeld ein, wenn man von Preisen oder Stipendien, die der eine oder die andere Autor:in bisweilen ergattert, einmal absieht. Allen Verlagen, die sich wider die wirtschaftliche Vernunft eine Lyrikreihe leisten, ist aufrichtig zu danken, und in diesem Sinne richtet sich mein Dank an dieser Stelle an die Grazer edition keiper mit der Verlagsleiterin Anita Keiper. Ideell sind diese Reihen freilich von einiger Tragweite für das Selbstverständnis der Verlage (und für jenes der Dichter:innen sowieso) und als leises, aber nachhaltiges Gegengewicht zur marktschreierischen Praxis in anderen Segmenten des Literaturgeschehens. Das mediale Echo auf Lyrikneuerscheinungen ist allerdings fast immer sehr gering – erschütternd gering, möchte man sagen. Umso wichtiger sind Initiativen wie die poesiegalerie, die der Lyrik eine Diskursplattform bieten.

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Zumal also auf Quoten ohnehin kaum zu schielen ist, erlaube ich mir als Herausgeber, kompromisslos gute Gedichte zu wollen. Was aber heißt „gut“ angesichts der sehr unterschiedlichen Erscheinungsformen von Lyrik, die so vieles vom Haiku bis zum Langgedicht, vom Sonett bis zur lyrischen Prosa, vom glasklaren Epigramm bis zum hermetischen Sprachgeheimnis umfassen? Man braucht sicherlich keine Wissenschaft daraus zu machen, aber gewisse Kriterien benötigt man doch, um Auswahlvorgänge ein Stück weit nachvollziehbar und argumentierbar zu machen. Im Grunde ist es einfach: Als Herausgeber will ich von Gedichten in einen für mich neuen Sprach- und Denkraum geworfen werden, ich will frische Luft atmen, will überrascht und begeistert, gerne auch herausgefordert, irritiert und verstört werden. Ich will das Hagelkorn, nicht den lauwarmen Regen. Ich will verstehen, was die Gedichte wollen, ich will sehen, dass sie etwas wollen – etwas, das ohne diese Gedichte nicht da wäre, etwas Ehrliches, Menschliches, Intelligentes, Liebevolles, etwas Mutiges, Riskantes, Aberwitziges, kurz: etwas Literarisches. Ich will kein hohles Pathos, keine abgegriffenen Klischees und Lyrikversatzstücke, keine Nabelschau, die in einem Tagebuch besser aufgehoben wäre, keine Selbstanbetung des sich in Pose werfenden Dichter:innen-Egos. Dieser kleine Kriterienkatalog genügt eigentlich schon, um die meisten Zusendungen reinen Gewissens abzulehnen und für zwei oder drei Bände pro Jahr, die in der Reihe keiper lyrik erscheinen, Feuer und Flamme zu sein.

Die Österreichische Gesellschaft für Literatur hat uns Gelegenheit gegeben, bei einer Veranstaltung im März 2024 die Reihe keiper lyrik anlässlich ihres kleinen Jubiläums vor gut gefüllten Zuschauerreihen zu präsentieren. Die Bände von Kirstin Schwab, Thomas Ballhausen und Luca Kieser dienten an jenem Abend als repräsentative Beispiele. Das hier Geschriebene ist eine verschriftlichte Version dessen, was ich bei dieser Veranstaltung vor interessiertem Publikum vortragen durfte – weil ja einer, der eine Reihe macht, etwas zu erzählen hat. Und die Reise, so wünsche ich mir als Herausgeber, möge von Band zu Band zu Band noch lange weitergehen.

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