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Fragebogen: Helwig Brunner

Fragebogen: Helwig Brunner

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Die POESIEGALERIE stellt ihren Autor*innen Fragen zum Schreiben
Heute die Antworten von Helwig Brunner

1. Schreibst du regelmäßig? Zu welchen Zeiten und an welchen Orten?

Ich schreibe regelmäßig unregelmäßig. Also immer, wenn ich – neben brotberuflichen Verpflichtungen und Familie – Zeit dafür finde. Phasen mit geringer Schreibaktivität wechseln mit intensiven Phasen, wenn es gilt, ein Schreibprojekt in all seinen Konsequenzen zu Ende zu bringen.

2. Ist Schreiben für dich eher Handwerk oder Inspiration? Wie passen diese beiden Pole zusammen?

Eine stete Pendelbewegung zwischen beidem. Intuitiv-kreative und handwerkliche Phasen wechseln sich ab und treiben einander voran. Gemeinsam bilden sie so etwas wie den Motor oder das Uhrwerk des Schreibens.

3. Wo findest du deine Themen? Eher in deinem Leben und unterwegs oder in Büchern und Medien?

Die Welt liefert die Themen oder: die Welt ist das Thema. Konkrete Schreibthemen können unterwegs oder am Schreibtisch oder in Gesprächen entstehen oder sich aus Lektüren ergeben. Bücher liefern mir aber meist nicht so sehr die Themen, sondern stellen mir eher Gedanken- und Sprachmaterial bereit, das ich – neben meinen eigenen Gedanken und meiner Sprache – für die Bearbeitung und Vertiefung der Themen brauche.

4. Welche Bedingungen muss ein gelungenes Gedicht für dich erfüllen? Oder: Wann bist du sicher, dass ein Gedicht fertig ist?

„Fertig“ ist in diesem Zusammenhang ein schwieriges Wort; alles Geschriebene bleibt meiner Meinung nach letztlich Rohmaterial. Aber gelungen kann es trotzdem sein. Ein Gedicht sollte etwas in den Fokus genommen haben, das ohne dieses Gedicht undeutlich oder gar inexistent bleiben würde. Es sollte etwas Ehrliches, Menschliches, Intelligentes, Liebevolles, Spielerisches, etwas Mutiges, Riskantes, Aberwitziges, kurz: etwas Literarisches zu fassen bekommen und dem so Gefassten eine plausible Textgestalt gegeben haben. Wenn es das geschafft hat, ist schon viel gewonnen. Dann ist es gelungen, auch ohne „fertig“ zu sein.

5. Trifft auf dich das Diktum zu, dass Dichter*innen Seismographen ihrer Zeit sind – und wenn ja, inwiefern? Anders gefragt: Siehst du für dich als Dichter*in eine Aufgabe in Bezug auf das gesellschaftliche Ganze?

Die dichterische Sprache ist ein Seismograph, ein erweitertes und verfeinertes Sinnes- und Denkorgan, das vom leisesten Zittern bis zum massiven Beben alles erfassen kann. Es wäre sicherlich wünschenswert, dass diese Kapazitäten gesamtgesellschaftlich vermehrt zur Wirkung gelangten, etwa, um verengte, verknöcherte Denk- und Handlungsmuster aufzubrechen. Die spezifischen Qualitäten der Dichtung der Gesellschaft anzubieten, kann ich daher durchaus als Aufgabe sehen. Allerdings ist und bleibt es schwierig, mit Dichtung eine breitere Öffentlichkeit oder gar das „gesellschaftliche Ganze“ zu erreichen. Es bleibt bei einem ideellen Angebot, das in der Regel nur sehr beschränkt aufgegriffen wird.

Helwig Brunner © Yola Brunner
Helwig Brunner © Yola Brunner

6. Kannst du mit dem Satz „Dichten ist ein brotloser Beruf“ etwas anfangen? Oder besteht in deinem Leben eine Spannung zwischen Schreiben und Einkommen?

Ich habe einen Brotberuf als Geschäftsführer eines ökologischen Planungsbüros und damit ein gesichertes Einkommen. Das aus dem Schreiben lukrierte Einkommen hat daher keine existenzielle Wichtigkeit für mich, es ist also kein Problem, wenn mir die literarische Arbeit zeitweise wenig einbringt. Ich erlebe aber durchaus auch Zeiten mit guten Einkünften aus Preisen, Stipendien, Lesungen, Verlagshonoraren und Radiosendungen, habe also keine Veranlassung, das Dichten als brotlos zu bezeichnen.

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7. Welche Autorinnen und Autoren, welche Gedichte haben dich geprägt, fürs Schreiben sowie fürs Leben?

Vor allem die Vielfalt alles Gelesenen. So vieles hat mich in unterschiedlichen Lebensphasen auf unterschiedliche Weise beeindruckt, dass ich keine Namen besonders hervorheben möchte. (Wenn ich dennoch Namen nennen müsste: vielleicht Michael Hamburger, Michael Krüger, Cees Nooteboom, Tomas Tranströmer.) Auch die zahllosen unveröffentlichten Manuskripte, die im Rahmen verschiedener Herausgeber- und Jurortätigkeiten über meinen Schreibtisch wandern, sind wichtig für mich, das darin vorgefundene Gelingen ebenso wie das Scheitern. Die Diversität der Schreibmöglichkeiten entspricht der Diversität möglicher Lebens- und Denkentwürfe. Beides kann man über die Jahre ein Stück weit offen halten. Die eigenen Entwürfe muss man allerdings im Schreiben wie im Leben letztlich für sich selbst finden, man lebt ja kein epigonales Leben.

8. Woran schreibst du gerade bzw. woran hast du zuletzt geschrieben?

Stand März 2024: Ein Roman (Flirren, Literaturverlag Droschl) ist unlängst erschienen und beschäftigt mich noch stark. Eine Sammlung von Erzählungen entsteht langfristig und ist aktuell in intensiverer Arbeit. Ein Lyrikmanuskript ist im Wesentlichen abgeschlossen, wird aber vor der Drucklegung noch einmal sorgfältig überarbeitet werden.

9. Gibt es eine Frage, die du dir gerne selbst stellen und beantworten möchtest?

Diese Interviewfrage macht mir gerade bewusst, dass die Frage nach der Beziehung zwischen dem Schreiben und dem Leben für mich wohl noch unzureichend geklärt ist. Man kann ja nicht gleichzeitig leben und darüber schreiben; irgendetwas ist da inkommensurabel, irgendetwas verfehlt sich immer, eines hinkt dem anderen hinterher, nicht wahr? Und doch hat beides eng miteinander zu tun, ist untrennbar miteinander verbunden. Lassen sich Fragen, die auf das Schreiben abzielen, mit den Mitteln des Schreibens überhaupt schlüssig beantworten oder ist an dieser Stelle ein Zirkelschluss, eine gewisse systemische Blindheit unvermeidlich?

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