Andreas Pavlic liest Sarita Jenamanis Silent Conversations. Unterhaltungen in Stille

Die Gedichte im Band Silent Conversations / Unterhaltungen in Stille von Sarita Jenamani haben einen Sog. Sie ziehen dich hinein in die Landschaft, die die Autorin Zeile für Zeile baut, hinein in die Erinnerungen, die sie bildhaft hervortreten lässt, hinein in die Gedanken, die sie fasst und wieder frei lässt, und sie ziehen dich hinein in die unterschiedlich gefärbten Stimmungen. Letztere können frostig und mit Wehmut versehen sein, keck und mit einer kantigen Härte, oder sie können sommerlich melancholisch sein. Selten ist ein Buchtitel so bezeichnend wie bei diesem Gedichtband.
Cover © Theodor Kramer Gesellschaft
Jenamani richtet sich in einem ruhigen, rhythmischen Tonfall an die Leser*innen. Vielleicht sind es auch Selbstgespräche einer Dichterin oder Nachrichten für all jene, die zufällig von den Zeilen berührt und erfasst werden. Die Autorin berichtet von alltäglichen Beobachtungen, stellt allgemeine Überlegungen an und reflektiert Momente eines Lebens – wie beispielsweise die Erinnerung an eine Zeit, als sie oder das lyrische Ich in einem Land zuhause war, in dem im Sommer Mangos wachsen.
Summer brings back the images Der Sommer bringt die Erinnerungen of bamboo baskets full of mangos an Bambuskörbe voller Mangos zurück we plucked from the orchard die wir im Obstgarten pflückten loaded with the familiar taste erfüllt vom vertrauten Geschmack of summer des Sommers Those summers we lived In jenen Sommern lebten wir as if pain were nowhere als gäbe es keinen Schmerz in the background im Hintergrund we lived from bliss to blessing wir lebten von Seligkeit zu Segen from reverie to dreams von Träumerei zu Traum In those days of quartz clouds In jenen Tagen voller Quarzwolken and pyrite crystals und Schwefelkristalle
Ein Zufluchtsort aus Stille und Entwürfen
Wie an diesem Zitat erkennbar, handelt es sich bei diesem Buch um einen zweisprachigen Band. Auf Englisch geschrieben und von der Autorin selbst ins Deutsche übertragen. Die Sprache ist eines der großen wiederkehrenden Themen in den Texten. Die Autorin verhandelt es mit einer großen poetischen und reflexiven Kraft. Jedoch nicht nur in der abstrahierten Form, sondern es geht vor allem um das Sprechen, den Sprachverlust sowie das Erlernen einer neuen Sprache.
Zu dieser konkreten Erfahrung gehört auch das Schweigen oder das Schweigsamwerden. Jeder Mensch, der für eine begrenzte Zeit in einem Land lebte, in dem eine andere Sprache gesprochen wird, und diese neue Umgebung erst erfassen musste und die Sprache erlernen, weiß um den Verlust, den man in diesem Moment erfährt sowie um die Hilflosigkeit und Verwundbarkeit. Erst langsam zeigt sich die Bereicherung, die die neue Umgebung bereitstellt und die mühsam mit dem Spracherwerb erarbeitet werden muss.
Im Gedicht „Ich möchte nicht dass du Schweigen erbst“ schreibt die Autorin über die Wunde, die eine neue Sprach auf der Zunge hinterlässt. Jedoch verheilt diese auch wieder. Sie hinterlässt eine Narbe, „die uns gehört“. In dem titelgebenden Gedicht „Silent Conversations / Unterhaltungen in Stille“ geht die Autorin jedoch über die Sprache, die Sätze und Wörter hinaus – auch wenn es sich darin oder dazwischen „gut leben“ ließe. Mit Hilfe von Stille und Zeit baut sie an einer neuen Beziehung zu anderen sprechenden und schweigenden Menschen und erschafft somit einen Zufluchtsort, den wir alle auf die eine oder andere Art und Weise benötigen. Die Sprache als Zuhause erhält so eine soziale Dimension.
It is good to live Es lässt sich gut leben between sentences zwischen Sätzen in silence in Stille Silence is also a conversation Schweigen ist auch eine Unterhaltung Take your time Lass dir Zeit pick words pflücke die Worte word by word Wort für Wort create a refuge entwirf ein Refugium where we exist in dem wir sind
Worte und Welten
„Worte und Welten“ ist nicht nur der Titel eines Gedichts im Buch, sondern auch der Name einer Literaturzeitschrift, die Sarita Jenamani gemeinsam mit Aftab Husain herausgibt. Es handelt sich dabei um eine bilinguale österreichische Zeitschrift für Migrant:innenliteratur. Auf der Homepage von Words and Worlds schreiben die beiden: „Literatur der Migration wird von AutorInnen aus den verschiedensten Ländern geschrieben. Fast allen gemeinsam ist ein Problem: die neue Sprache. Viele dieser SchriftstellerInnen kommen in einem Land mit einem ihnen völlig fremden linguistischen Milieu an. Sie erleben sich dort als stumm, weil ihre literarische Stimme in ihrem neuen Umfeld nicht gehört wird.“
Gegen dieses Verstummen schreibt Jemanani an, und sie thematisiert es. Sie schreibt vom Ankommen in einem neuen Land, vom Verlust der Erstsprache, vom Verlust einer vertrauten Umgebung und eines vertrauten Bedeutungszusammenhangs. Kurz: Sie schreibt auch über den fundamentalen und existentiellen Bruch, wenn sich Welt und Wörter verändern. Wichtig ist hier die Konjunktion „auch“, denn die Autorin ist nicht auf dieses Thema zu reduzieren, so wie sie auch nicht nur Autorin ist.
Words and worlds Worte und Welten The days in a new country Die Tage in einem neuen Land are pickled cucumber sind eingelegte Gurken their pungent taste ihr stechender Geschmack sticks to the palate bleibt am Gaumen haften the first appeal of linkage der erste Reiz der Verbindung is a promise deferred ist ein aufgeschobenes Versprechen
„Biographische Notiz einer Dichterin“
Sarita Jenamani arbeitet auch als Herausgeberin, Übersetzerin sowie Menschenrechtsaktivistin, und ist Generalsekretärin des PEN Club Austria sowie eine transnationale Akteurin in künstlerisch-literarischen und politischen Feldern. Ihre Erstsprache Oriya zählt auf dem indischen Subkontinent zu den „kleinen“ Sprachen, da sie „nur“ von 38 Millionen Menschen gesprochen wird. Jenamani hat Gedichte u. a. von Rose Ausländer, Rainer Maria Rilke und Georg Trakl in ihre Muttersprache Oriya sowie in Hindi, einer der meistgesprochenen Sprache der Welt, übertragen und sie dadurch einem immensen Sprachraum zugänglich gemacht.
Was nun bei den im Theodor Kramer Verlag erschienen Gedichten auffällt, sind das poetische Feingefühl, die reduzierte Klarheit und die mitunter sprachliche Wucht der Autorin. In der letzten Strophe des Gedichts „Biographische Notiz einer Dichterin“ schreibt sie über die quälenden Momente und die Verteidigungsstrategien einer Dichterin, aber auch von der explosiven Kraft, sich herrschenden Regeln zu widersetzen.
Her biography Ihre Biographie hangs on her tongue hängt an ihrer Zunge like a ton of dynamite wie eine Tonne Dynamit and she is aware und sie weiß that she does not have to dass sie nicht breath by precepts nach Vorschrift atmen muss
Sarita Jenamani: Silent Conversations. Unterhaltungen in Stille. Theodor Kramer Gesellschaft, Wien, 2024. 126 Seiten. Euro 18,–