Erika Wimmer Mazohl liest Katharina Ferners salamanderin
der himmel birgt eine erzählung aus regenfäden liege mit feuchtem gesicht am fauteuil so verschläft der vormittag seine bestimmung (…)

Drei Verszeilen, und jede einzelne deutet auf eine Geschichte, die die geneigte Leserin oder der Leser öffnen und nachzeichnen kann, wenn sie oder er denn will. Der herabrollende Regen erinnert per se an einen Geschichtsfaden, der beginnt, eine zeitlang fortläuft und irgendwo im Ungewissen endet. Was für ein schönes Bild!
Cover © Limbus Lyrik
Dort oben im Himmel, da, wo wir mit unserer Vernunft alleine nicht hinkommen, sind unendlich viele Texturen ineinander verwoben, Geschichten also, die der Himmel bezeugt, weil er seit jeher über allem präsent ist. Fluide, nie ganz festzulegende Geschichten sind es, Geschichten – regengleich, wässrig -, in die Erfahrungen und Gefühle hineingewirkt sind, in denen die Fakten nicht die Oberhand behalten. Das Ich liegt denn auch mit feuchtem Gesicht da, vielleicht haben Tränen der Trauer oder Rührung die Haut benetzt, vielleicht war es auch ein durchs offene Fenster gewehter Regenschauer – oder doch eher eine Emotion, die sich in den Schlaf drängt?
Um welche Art Schlaf handelt es sich? Ist es ein Tagtraum? Ist es Philosophie, da die Zeit ins Spiel gebracht wird? Und um welche Bestimmung geht es? Man mag an ein Vorhaben, an eine Art Ziel denken, doch dieses gewisse Etwas wird auch in den darauffolgenden Zeilen nicht näher beleuchtet. Das Schicksal, die Bestimmung bleibt offen wie der Vormittag, der ja erst ein Auftakt des Tages ist, der sich in den Mittag und Nachmittag hinein entwickeln wird und so manches noch mit sich bringen mag. Eine Klärung vielleicht, die Erhellung der Stimmung oder was auch immer.
Das Schiff und der Hafen
Ähnliche Überlegungen könnte man anhand vieler Verse in Katharina Ferners Gedichtband salamanderin anstellen. Gelegenheit dazu gäbe es reichlich, aber andererseits müsste all das auch gar nicht ausgedeutet oder aufgeschrieben sein, man kann auch einfach darüber hinwegschweifen. Denn man gewinnt lesend mehr und mehr den Eindruck, dass die Autorin primär die fortwährende Poetisierung des Alltags betreibt und damit vielleicht schon alles erreicht ist, was diese Texte erreichen wollen. Wenn sie denn überhaupt etwas wollen. Aber ja, ich denke schon, dass sie ein Ziel haben und nicht beliebig sind. Sie lassen die tiefere Schicht des Alltäglichen austropfen – oder eher einfach hervorströmen und sich ausbreiten.
Weil die Tiefenstrukturen des Sprachlich-Kommunikativen und des Lebens mindestens gleich wichtig sind wie die offensichtlichen Dinge, die zutage treten und üblicherweise als erstes und einziges wahrgenommen werden. Uns für die Regenfäden, die Rauchschwaden und die treibenden Nebel, für die Nischen und Lücken der Tage und Nächte zu sensibilisieren, ist in der Tat eine Absicht, die einem Gedichtband gut ansteht. Durchaus bodenverhaftet auf der einen Seite – die Verse beziehen sich häufig auf ganz Alltägliches – werden Beziehungen ebenso wie Umgebungen oder Gegenstände angesprochen, zugleich wird das Dazwischen- und Darunterliegende ins Augenmerk genommen.
„wäre einmal gerne der hafen und nicht immer das schiff“, heißt es in einem Vers, der auf der Coverrückseite zitiert wird und damit vermutlich eine Schlüsselaussage enthält. Wäre einmal gerne das Empfangende und Bewahrende und nicht das handelnde Element, wäre gerne einmal der ausgeruhte und nicht der erschöpfte Teil, so könnte man vielleicht diesen Satz deuten. In der Dichotomie scheint mir eine feministische Fragestellung zu liegen. Wäre gern einmal passiv und müsste nicht immer aktiv sein, so könnte man dieses Thema weiterspinnen – aber folgt man damit noch der Absicht der Dichterin? Wäre gern, so lautet der folgende Vers, „nicht immer das schiff dessen navigationssystem auf der strecke ausfällt“. Ich wäre gern geborgen und in Sicherheit, ein Schiff im Hafen. Nicht eines, das umherirrt und weder Zusammenhang noch Ziel kennt.
Mit Versen wie diesen, und es gibt viele davon, erweist sich Katharina Ferner als eine Autorin, die bei allem Sinn für das Alltägliche auf der einen Seite immer wieder auch auf den Grund des menschlichen Daseins taucht und Befindlichkeiten ausmacht, die längst nicht mehr das gewöhnliche Leben betreffen, sondern weit darüber hinausweisen. Wir alle sind Schiffe, deren Navigationssysteme (mitunter, immer wieder…) ausfallen, wir sind schließlich Menschen und keine Roboter. Und viele von uns sind gegenwärtig erschöpft, auch und vor allem die Frauen. Die titelgebende Salamanderin mutet wie ein weibliches Tierwesen an, das mit der Conditio humana auf Tuchfühlung steht. Das Cover zeigt ein Bild von Ula Sveik: zwei kohlrabenschwarze Füße, die über Feuer zu gehen scheinen und trotz der Tatsache, dass sie verkohlt sind, immer noch weiter gehen (müssen).
Das Leichte und Schwebende
Was ich an diesem Gedichtband mag, ist das Leichte und Schwebende, das trotz des existenziellen Untertons nie verloren geht. Das lyrische Ich ist jung und weiblich, das erfährt man nicht direkt, aber man spürt es auf jeder Seite. Flankiert wird dieses Ich von einem Du, das nicht starr immer dasselbe zu sein scheint, das mal weiblich, mal männlich schillert, das Erotik evoziert oder einfach nur begleitet, kommuniziert, da und dort Gedanken anregt oder tröstet. Das lyrische Sprechen ist wahrhaftig kommunikativ, auch dann, wenn es ein Selbstgespräch ist oder stumme Zeugen anspricht. Es unterhält sich beispielsweise mit Ingeborg Bachmann, etwa mit dem Prosatext „Das dreißigste Jahr“, oder es bezieht sich auf die bekanntlich komplexe Beziehung von Ingeborg Bachmann mit Max Frisch. Es sind sprachliche Gebärden, die Referenzen ausloten und Bezüge offenlegen, die der Autorin wichtig sind, diese aber nicht durchexerzieren. Auch hier wirkt das Fluide, die Offenheit.
Es ist ein sich Vorantasten in einer Sprache, der die Sprechende nicht ganz zu trauen scheint. Sie gibt sich launig und lässt die Sprache brechen, setzt Pausen, widersetzt sich dem Hin und Her eines herkömmlichen Dialogs und unterwandert sprachliche Gewohnheiten. Sie deutet die Gewalt an, die patriarchalen Beziehungen innewohnt und weibliche Erfahrung prägt.
würde dir gerne zusehen wie du mir langsam rauch entgegenbläst kurze atemwärme die glut leuchtet in der dunkelheit die asche verlängert den blick in mir eine ungeduld der ich nicht nachgeben möchte das feuerzeug reißt mir die haut auf dein rauch riecht anders ich weiß wie es sich anfühlt wenn sich unsere finger berühren wenn du mir feuer gibst wie du mir feuer gibst
Wie Ingeborg Bachmann es einst vorgezeigt hat: Weibliches Schreiben hat die Kraft, sich den Machtverhältnissen nicht zuletzt in der Sprache, dem Sprechen zu widersetzen. In diese Lesart (der Rezensentin) fügt sich das durchgehende Switchen zwischen Hochsprache und Dialekt ein: Jeder Gedichtabschnitt wird quasi in den Dialekt übersetzt, der wohl das Salzburgische repräsentiert, da die Autorin Salzburgerin ist. So genau kann ich das als Leserin jedoch gar nicht sagen, es handelt sich jedenfalls um ein österreichisches Idiom, das den in Hochsprache verfassten Text meines Erachtens in erster Linie: erweitert.
du trägst das meer in den augen wozu brauche ich den seegang ausgelöst durch deinen blick dia schwappt es mea aus die augn wozu brauch i den seegong ausglöst durch dei gschau
Da und dort könnte man meinen, dass der Dialekt die Hochsprache konterkariert, da er jeweils eine neue und andere Stimmung einführt. Als wolle der dialektale Abschnitt sagen: Es ist nicht so, sondern so. Zum Beispiel nicht so kühl, sondern warm. Die Dialektversion liefert eine wärmere Färbung. Im Grunde deutet die Dialektversion aber nicht auf etwas Anderes, auf einen Gegenpol, der Dialekt überblendet den Text und erweitert ihn damit in seiner Wirkung.
Die Sprache ausloten
Und genau das scheint mir ein Hinweis darauf zu sein, dass Katharina Ferner in erster Linie die Sprache abklopft, sie erforscht und erprobt. Sie möchte, so scheint es, in der Doppelung, die nie ganz deckungsgleiche Übersetzung ist, die Dimensionen der Sprache ausloten. Und was sie damit erreicht, ist nicht etwa, dass man sich langweilt, weil man beim Lesen denselben Inhalt, das gleiche Sprechen noch einmal erfährt. Nein, sie bewirkt damit, dass man sich als Leserin beglückt fühlt über die Vielstimmigkeit der einen Sprache: Hochsprache und Dialekt sind wie zwei Glocken, die ineinander klingen, einander ähneln und dann doch wieder ganz anderes sagen.
Somit ist salamanderin für mich ein Buch, das in die Geheimnisse des Lebens, Sprechens und Kommunizierens einführt und letztlich auf die rätselhafte Uneindeutigkeit der Sprache verweist.
Katharina Ferner: salamanderin. Gedichte. Limbus, Innsbruck–Wien, 2025. 96 Seiten, € 15,–