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Mit Dante und Vallazza – Erika Wimmer Mazohls lyrische Psychogramme

Mit Dante und Vallazza – Erika Wimmer Mazohls lyrische Psychogramme

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Johannes Tröndle liest Das zweite Gesicht von Erika Wimmer Mazohl


Der wechselseitigen Beeinflussung von Literatur und Bildender Kunst lässt sich in Erika Wimmer Mazohls Band nachspüren – und das sehr vielschichtig. Das Buch ist, wie die Autorin selbst in einer Danksagung schreibt, als „lyrischer Dialog“ mit dem Südtiroler Künstler Markus Vallazza konzipiert. Das Werk dieses 2019 verstorbenen Malers, Grafikers und Illustrators war auf besondere Weise der Literatur verbunden: Nicht nur, dass er selbst auch Gedichte verfasst hat; er hat sich seit den 1970er Jahren in zahlreichen Zeichnungen und Radierungen mit Werken der Weltliteratur auseinandergesetzt, von Homer und Oswald von Wolkenstein bis Ezra Pound oder Friederike Mayröcker. Besonders intensiv war seine Beschäftigung mit Dantes Divina Commedia (ein literarisches Werk, das selbst bekanntlich zu allen Zeiten außerordentlichen Einfluss auf die Bildende Kunst genommen hat, um hier nur die Arbeiten von Sandro Botticelli und William Blake zu nennen). Insgesamt 9 Skizzenbücher mit Vorstudien und Entwürfen entstehen, und darunter eine umfangreiche Serie von Porträtskizzen: 378 an der Zahl, Miniaturen, die jeweils den Kopf Dantes im Profil zeigen (charakteristisch: „Römernase“ und hervorstehendes Kinn) und vom Künstler mit einem Stichwort versehen sind: etwa visionär, inquisitorisch, ambivalent oder komödiantisch. Kopfgeburten und Psychogramme nennt Vallazza diese Serie.

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Hier knüpft Erika Wimmer Mazohl an. Die Autorin, die Vallazza persönlich gekannt und auch bereits über dessen Dante-Auseinandersetzung publiziert hat, nimmt je eines der Charakterporträts zum Ausgangspunkt für ein Gedicht. Sie übernimmt dabei auch die Titel Vallazzas, die sie in eckige Klammern setzt und fallweise mit eigenen Titeln ergänzt.

Was als eine Art „Spiegel im Spiegel“, als zweifache Transformation der Kunstformen (Text wird Bild wird wieder zu Text) gelesen werden kann, ist seitens der Autorin dabei nicht allzu dogmatisch gemeint. Wie schon Vallazza, dessen Skizzen weniger den Stoff illustrieren als von selbstbewusster, spielerischer Aneignung sprechen, nutzt auch Wimmer Mazohl ihre Vorlage als Sprungbrett – oft mitten in die Gegenwart hinein, etwa wenn Vallazzas nasenschützer ein mund nasen schutz und dem Gedicht die wohl sarkastisch gemeinte Widmung für corona 2020 vorangestellt wird. Trotzdem bleibt der Vallazza-Bezug greifbar und im direkten Vergleich mit den Porträts (eine Auswahl davon ist in der Mitte des Buches abgedruckt) zeigt sich, dass einige Texte tatsächlich auch wie Bildbeschreibungen funktionieren – freilich nicht „technisch“, sondern lyrisch gefasst und assoziativ erweitert. Etwa in der ersten Strophe des Gedichts [geographisch]:

während dein kopf
dir ravenna flüstert
zieht deine nase dich
nach paris

Tatsächlich sind auf dem entsprechenden Vallaza´schen Charakterkopf Städtenamen vermerkt, Ravenna findet sich im Bereich der Stirn, Paris direkt an der Nase.Oder: In Vallazzas ambivalent untertitelter Skizze ist dem Dante-Porträt eine grotesk anmutende Theatermaske übergezogen. Das Lachen, die dabei gebleckten Zähne, die helle Gesichtshaut, die den Schatten verschwinden lässt: all das ist in Wimmer Mazohls Korrespondenz-Gedicht beschrieben.

In ätzend krabbeln bizarr vergrößerte Ameisen über des Meisters Gesicht – und über die entsprechenden Verse, wo sie, als lasius niger und formica paralugubris spezifiziert, ihre Säure verspritzen. Ist der Bezug zwischen dem titelgebenden Stichwort und der Waldameise schon in Vallazzas Bild offensichtlich, so fügt Wimmer Mazohl dem sehr treffend einen weiteren Assoziationsraum hinzu: das ätzen in Zusammenhang mit der Drucktechnik:

denn du hast etwas auf der
platte deine krausen gedanken
ziehn mit der säure hinein
ins bild erst der druck lässt
die ameisen los

Sehr häufig nutzen die Gedichte die Form einer Anrede: ein lyrisches Ich, das mit dem Porträtbild, verstanden als lyrisches Du, in Kommunikation, in Dialog tritt. Eine weitere Dimension stellen hier die zahlreichen Widmungsgedichte dar: an Ingeborg Bachmann, Erwin Schrödinger, die Fotografen Lennart Nilsson, Luigi Fieni und Lena Marie Fossen; nicht zuletzt an Markus Vallazza selbst.

Nicht nur eines, viele zweite Gesichter adressiert der Gedichtband also – und bisweilen sind es zwei Seiten desselben (des eigenen) Gesichts. So könnte mit dem titelgebenden zweiten Gesicht auch einfach die unsichtbare, der Profilansicht abgewandte zweite Gesichtshälfte gemeint sein, das nicht dargestellte Äquivalent. Mehrere Gedichte nehmen diese Wendung auf – gerade die Beispiele oben, die Maske und die Druckplatte, eignen sich gut für dieses Spiel mit Identität(en):Es gibt ein Positiv und ein Negativ, beide gleichzeitig voneinander abgelöst und aufeinander bezogen. In manchen der Gedichte wirkt diese Gegenüberstellung oder Konfrontation zwischen einem Ich und einem Du zunächst vielleicht etwas simpel angelegt (etwa im schon zitierten Gedicht [ambivalent], das mit Gegensatzpaaren wie tränen bzw. gelächter, schreist bzw. still arbeitet). Doch bilden derlei Oppositionspaare nur einen Ausgangspunkt, den die Gedichte in ihrer inhaltlichen und formalen Vielfalt dann hinter sich lassen. Schon die Psychogramme Vallazzas beeindrucken in ihrem Variantenreichtum: Der serielle Charakter bleibt gewahrt, das Dante-Porträt auf den ersten Blick als „genau dieses“ identifizierbar – und gleichzeitig wird es in zahllose Facetten bis ins Phantastische hinein ausdifferenziert. Ähnlich spielen auch Wimmer Mazohls Gedichte in ganz verschiedenen Ton- und Gefühlslagen, wechseln unbekümmert das Register, teils auch die Sprache (englische, häufiger italienische Einsprengsel).

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Etwas aus der Reihe fällt das zweite der vier Kapitel. Hier diente (anstelle der Miniaturen) ein ganzseitiges Porträtbild Dantes als Vorlage für einen kleinen Gedichtzyklus, der formal stärker gebunden (vierhebiger Trochäus, teils durch Enjambement aufgebrochen) und inhaltlich direkt an den ersten Canto der Commedia angelehnt ist – teils vielleicht etwas zu direkt, hier lassen der gleichbleibende Rhythmus in Kombination mit bekannten Dante-Motiven (Wald, Berg, Bestien) an eine Stilübung denken und etwas von jener Originalität vermissen, die dem Band ansonsten eignet.

Ein nicht zu unterschätzendes Register im Stimmungsreigen der Dichterin ist der Humor, und gerne auch ein bitterböser. So wächst sich das einschlägig betitelte [misanthrophisch] zu einem Schimpfgedicht fast schon Werner-Schwab´schen Ausmaßes aus. Und im eingangs erwähnten „Corona-Gedicht“ mund nasen schutz [nasenschützer] wird dem Virus stilsicher im Wiener Gangster-Jargon zu Leibe gerückt: mit oida mafioso, kusch und goschn, hefn und lispelbahö.Übrigens gibt es noch ein zweites einem virus gewidmete Gedicht – allerdings eines, in dem sich Betten auf Tabletten reimt. Das ist bekanntlich noch Zukunftsmusik.

Erika Wimmer Mazohl: Das zweite Gesicht. Gedichte zu Dante-Miniaturen von Markus Vallazza. Limbus Verlag, Innsbruck / Wien 2021. 146 Seiten. Euro 20,-

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