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Von Derwischen am See und Störchen im Gegenlicht

Von Derwischen am See und Störchen im Gegenlicht

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Rhea Krčmárová liest Gerhard Altmann und Manfred Horwaths Ruster Ausbruch


Reale Orte zu bedichten, stellt immer eine Herausforderung dar. Wie soll man es angehen – elegant am Versuch scheitern, die Stadt allumfassend in ihrer Komplexität (historisch, geografisch, soziokulturell) zu beschreiben, oder sich gleich auf einzelne Aspekte fokussieren? Soll man sich der (manchmal auch banalen) Realität widmen oder den Ebenen zwischen Wirklichkeiten? Soll man chronologisch beginnen oder einer inneren Ordnung folgen? Sich auf die Stadt beschränken oder das Umland mit einbeziehen?

Der in Wien geborene und im Burgenland lebende Autor Gerhard Altmann stellt sich der Aufgabe, über Rust am Neusiedler See zu schreiben – und er tut es nicht allein.

Cover © Bibliothek der Provinz

Sein Buch Ruster Ausbruch verweigert sich mit seinen 24,5 mal 28,5 Zentimetern den üblichen Lyrikbuchabmessungen (A5 oder kleiner) – auch, weil es nicht nur ein reiner Gedichtband ist, sondern etwa zur Hälfte Fotos des Eisenstädters Manfred Horwath zeigt, der schon mehrere Bildbände zu Natur und Wasser publiziert hat und sich hier der mit knapp 2000 Einwohnern kleinsten Statutarstadt Österreichs widmet.

Zumindest in (Ost-)Österreich erweckt der Name Rust starke Assoziationen: Man denkt an den Neusiedler See als „Meer der Wiener“, an Schilf und Störche und an heiße pannonische Sommer. Die Einleitung von Ruster Ausbruch erinnert sprachlich durchaus an eine Fremdenverkehrsbroschüre, spricht von Rust als „einzigartiger Stadt“, schwärmt von „edlen Weinen“ und der Stadt als „Naturjuwel am Übergang zweier Kulturlandschaften“. Altmanns Sprache übernimmt diese oft gelesenen Werbephrasen zum Glück nicht, scheut sich aber auch nicht, seine Heimatstadt und ihr Umland durchaus opulent und sinnlich zu beschreiben.

mein herzland
mit weingartendraht zum absprung
ins blau
schilffell an der flanke
& hügeln
mit hang zur demut
immer der see – silber am horizont
the rising horizon
auch unterm eis schlägt der puls der tiefebene

Ausbrüche am See

Vinophile wissen, dass sich hinter „Ruster Ausbruch“ ein aus edelfaulen Trauben hergestellter burgenländischer Prädikatswein verbirgt – und Wein in all seinen Formen und Stadien fließt definitiv durch die Seiten von Altmanns Buch. „so blau wie die weingartennetze / wird der himmel nicht mehr“, heißt es im unter einem Storch platzierten Gedicht auf der Rückseite. Der Titel Ruster Ausbruch kann aber auch mehrdeutig gelesen werden, weckt die Frage, wer ausbrechen will: Ist es die Stadt selbst, die sich aus dem Korsett der Erwartungen befreien will, oder ist es ein Ausbrechen in – oder auch aus – Rust?

Es ist nicht immer das reale Rust, von dem Altmann schreibt – und er will es auch gar nicht. Schon im ersten Gedicht heißt es:

ich lebe immer am see
die fußspitzen hautnah an der passage
die luftdünen weht es abends 
in die stadt
vom hügelrücken der gerüche oder vom kirchturm
ufern wir aus
bis in die tiefebene
ich lebe immer am see
meiner Kindheit

See und Seelenzustände

Die Gedichte Altmanns kann man vereinfacht in zwei Kategorien einteilen: nämlich Außen- und Innenwelten – das Leben in Rust und am See einerseits als Status quo im Wandel der Jahreszeiten, andererseits als innerlichen Zustand. Altmann beobachtet aber nicht nur sein Umfeld, sondern findet auch Worte für seine persönliche Gemütslandschaft. Die Stimmungen im Inneren beschreibt er mit der gleichen sinnlichen Art wie die im Außen. Der Autor kennt und beobachtet seine Sujets sehr genau, findet Dutzende Aspekte und Fragmente – manche nur wenige Zeilen lang, wie in folgendem Gedicht, während andere Gedichte über zwei volle Spalten reichen.

dröhnendes insekt
schall auf der platte des sees
sonst: stille stille

Nicht nur der See spielt in Altmanns Texten eine wichtige Rolle, auch die Luft wird beschworen, als Luftmeer (wo fliegende Orkas entschwimmen), Lichtluft, Atemkuppel, der Wind ein Derwisch, der in Rust wohnt.

Gerappte Üppigkeit

Ein- oder zweimal rutscht Gerhard Altmanns opulente Sprache etwas ins Kitschige, ins oft Gelesene (wenn er etwa von einer Frau mit Mandelaugen schreibt). Die übrigen Sprachbilder sind durchaus originell; im Band finden sich ungewöhnliche Komposita wie „wasserblätterrauschen“ oder „sonnenblumenlederhaut“. Altmann verzichtet konsequent auf Großschreibung, Satzzeichen kommen nur spärlich vor. Warum das Wort „und“ ab und zu durch ein Ampersand ersetzt wird, erschließt sich nicht ganz. Dass Altmann nicht nur Germanist und Autor ist, sondern auch Musiker, merkt man einem Gedicht namens „frühlings-rap“ an, in dem er (anders als im Rest des Buchs) reimt und mit Rhythmus und Wiederholungen spielt.

früüühling
lass das windtier los
früüühling
mach die lungen groß

Andere Gedichte fangen sachte Melancholie ein, in Versen wie:

abreisemöglichkeiten bilden ein netz in herbsfeldern.
darüber ein zweigeteilter himmel:
glasklar gesprungen im rechten unteren eck steht: „fragile“
kein roter grenzfaden dieser baum
zersägt sich in gestern und morgen.

Vereinzelte Dialektgedichte brechen die Stimmungs- und Naturbeschreibungen auf, erden den Leser und die Leserin in burgenländischer Mundart.

See Also
Buchcover "Falten hat die Zeit" Sophie Reyer

Störche, pittoresk

Die Texte und Fotos bilden (vermutlich aus drucktechnischen Gründen) eigene Blöcke, nur das allerletzte Gedicht wurde direkt in das Blau eines Fotos des gefrorenen Sees hineingesetzt.

aus dem halbschlaftagebuch
wir hasten über das weiße
bis nur licht bleibt
und die stille 
des danachs
die stille ist
des davor

Wäre das Buch noch ein wenig einheitlicher geworden, wenn es möglich gewesen wäre, Fotos und Text noch stärker miteinander zu verweben?

Manfred Horwaths Fotos zeigen jedenfalls schöne Seiten von Rust und Umgebung: Störche im Gegenlicht, pittoreske Dächer, historische Architekturdetails. Menschen werden selten abgebildet – wenn, dann planschen sie im See, laufen über das Eis oder chillen im Abendlicht im Buschenschank.

Die komplette Realität des Alltags und des Tourismus wird nicht gezeigt: keine überquellenden Mistkübel im Strandbad, niemand, der vom burgenländischen Wein illuminiert durch die Gassen wankt. Vereinzelt erhält man aber auch Einblick jenseits der Idylle – Bilder von Fischern und der örtlichen Fußballmannschaft erden den Band, verhindern, dass der Fotograf ganz ins Kitschige abgleitet, und ergänzen so auch Gerhard Altmanns Texte.

Ruster Ausbruch bildet insgesamt ein poetisches Rust ab, in dem das Triviale kaum einen Platz hat. Ob das eine kleine Schwäche oder doch die große Stärke des Buchs ist, mögen die Leserinnen und Leser selbst entscheiden. Lust auf einen Ausflug zum See und ein Glas Wein macht das Buch auf jeden Fall.


Gerhard Altmann, Manfred Horwath (Fotos): Ruster Ausbruch. Verlag Bibliothek der Provinz, Weitra, 2023. 160 Seiten. Euro 38,00

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