Alexander Kluy liest Martin Dragosits’ Gedichte. Podium Porträt 131

Die notorischste, die sehr zu Recht verfemte pseudo-klassische und intellektuell vollkommen entleerte Schriftsteller-Frage wird hier auf Seite 47 gestellt: Weshalb, ach, schreiben, wofür schreiben? Für mich? Und wenn nicht Letzteres, für wen dann?
Cover © Podium Literatur
Martin Dragosits beantwortet dies einleuchtend wie amikal: „Ich schreibe nicht gegen andere“. Auch „nicht für Preise, Medaillen, Wanderpokale, / pro und contra oder das Sonnenlicht“. Stattdessen konstatiert der gebürtige Wiener, der in seiner Heimatstadt lebt und seit Langem neben der Lyrik einen Brotberuf im IT-Bereich unterhält: „Ich tausche Fliegenträume, / Scheitelpunkte im versenkten Hinterhof“. Auch wenn er zum Ausklang dieses Gedichts, spielerisch überschrieben „Brettmanöver“ und damit anspielend auf Strategie-Brettspiele, von „reservierte(n) Winkelzüge(n)“ schreibt und dass „die Lyrikmühle auf und zu“ geht, so kann bei ihm von einem keine Rede sein: von routiniertem Prozedere. Denn dafür sind seine Poeme, die Erika Kronabitter nun aus seinen vier Lyrikveröffentlichungen „Der Teufel hat den Blues verkauft“ (2007), „Der Himmel hat sich verspätet“ (2010), „Gedichte 3.0“ (2013) und „Weiße Kreide“ (2017) zu einem übersichtlichen Band ausgesucht und klug arrangiert hat, zu feinsinnig. Das Gedicht „Aufwind“ zum Beispiel ist ein Beispiel für aleatorischen, dabei schmiegsamen Ideen-Bilder-Reichtum:
silbergrauer flügelschwung im aufwind streift den wendekreis die berührungsangst der tangente unendlich
Zartheit und Präzision
In diesem wie in nicht wenigen anderen Gedichten stellt Dragosits Zartheit und Zärtlichkeit aus, stellt Silbenpräzision wie Ausdruckskraft unter Beweis. Dies sind dann des Öfteren Poeme, die sich dem Epigramm annähern, kürzere bis knappe blitzlichtartig fokussierte Momentaufnahmen.
Immer wieder auch evoziert Dragosits andere Stimmungen, die er typografisch unterschiedlich gestaltet, mal als mehrfach gereihten Zweizeiler, dann als bildstark einsetzendes Gedicht, dort mit leichtem Parlando hantierend. So erweist sich dieser Werk-Querschnitt als buchstäblich vielseitig und Vielseitigkeit aufzeigend. Denn Dragosits kann einsetzen mit einer meditativen Selbsterkenntnis, etwa nicht beten zu können und Zugang zu Metaphysischem nur auf eine Art zu finden, mit „blasphemische(n) Gedichte(n) / in der Tasche“ nämlich.
Gleichermaßen findet er jedoch auch den richtigen Tonfall für lakonisch Weltzugewandtes, so im Gedicht „Hall of Fame“, das nach einer Aufzählung der Todesarten von Elvis Presley, Jim Morrison, Jimi Hendrix und John Lennon – im Haushalt oder vor dem Wohnhaus – in eine humoristische Volte mündet: „Deshalb / sind viele gute Leute / bis ins hohe / Alter auf Tournee.“ Hier zeigt der Anfangssechziger auch thematische Breite und Aufgeschlossenheit, denn Pop- und Rockmusik scheinen immer wieder durch. Einmal integriert er gar Songzeilen von Bruce Springsteen in seine Verse.
Reverenz und Kritik
Dragosits vermag andererseits auch Ernst Jandl Reverenz zu erweisen, beispielsweise mit dem Buchstabenwechsel-Gedicht „Phizo-Schren“ („es lachen zu krassen / wie werkmürdig“), wie auch, von etwas weiter her, Gerhard Rühm mit dem Klanglautlesegedicht „Lonesome Riders“ und dessen feinklanglich aufeinander abgestimmten Aufzählungsketten: „resolute phasenschmelze scherenmonde / lesedosen monophobe tonpatronen“.
Zudem gibt es Gedichte, in denen Dragosits leichthändig mit spitzer Zeitkritik nicht geizt, auch nicht mit Ironie. Da geht es dann ums Gewinnen, das alle wollen und anstreben, ums Erringen von Konsumprodukten, ob Automobile oder bunte Kugelschreiber, um Rabatt und um authentische Erlebnisse, die doch aus zweiter Hand stammen, „von der Bank / geschöpfte Kredite“ des Lebens und der Lebensfreude sind.
Und: Es geht, melancholische Schlusspointe, um die herb-ironische selbstbetrügerische Hoffnung, dass es täglich einen Dummen gibt, „der noch mehr verliert / als wir“. Es kann auch um Angst um den Job und am Arbeitsplatz gehen und um die Phrasen des Firmenmanagements.
Weisheit und Brechung
Viele starke Gedichte finden sich, die ins Weise ausgreifen, ins Lebensweise, und die doch nicht hermetisch daherkommen – im Gegenteil. „Prüfdistanz“ ist ein schlagendes Beispiel hierfür. Es setzt mit einem einprägsam prägnanten, an Daoistisches gemahnenden Bild ein: „was mit uns geschieht, das sind Tropfen / auf einer Windschutzscheibe, / von hier nach dort“. Dann flicht er Wörter ein, die man übergangslos anschließend nicht vermuten würde, Mittelklassewagen und Rikscha, Timing und geodynamisch – doch das ist bei Dragosits, wie an nicht wenigen Stellen nachzulesen, bedacht eingesetzte linguistische Brechung –, und geht dann weiter zum Ausschnitt der Welt und dem „Verschwinden von Tau / im Laufe des Tages“, zu anthropologischer Vergänglichkeit, zu „Pyramiden und Sternenstaub“. Im Finale schließt sich das Gedicht zum Rondo. Das Schlusswort ist „wir“, welches sich kunstvoll auf das dritte Wort des Gedichts, auf „uns“, bezieht.
Wenn „das Geld sich Nacht für Nacht bei Dunkelheit vermehrte an guten Tagen zwei mal zwei die Hölle ihre Pforten bei ausgestreckter Hand mit Engelstaub besprühte was bliebe dann noch übrig ab und zu“
Martin Dragosits: Podium Porträt 131: Martin Dragosits Gedichte. Mit einem Vorwort von Klaus Ebner. Hg. von Erika Kronabitter. Podium, Wien, 2025. 64 Seiten. 6,– Euro

