Alexander Kluy liest Verena Stauffers Kiki Beach
Liebesgedichte. Gott, wie altmodisch! Ja, geht das denn noch? Und wie geht das denn heute noch?!
„Wie auf vertrocknetem Acker Früchte säen? Ocker gebrannt. Umbra Natur. Mäck, Mäck Plötzlich fällt Regen wie der Monsun Aus überflutenden Gesichtern im Brauenhimmel Halte dein geöffnetes Herz ins Licht“

„Liebesgedichte“ nennt die in Wien lebende Verena Stauffer ihren neuen Band. Er besteht aus sieben Zyklen und 37 Poemen. Davon sind einige auf Englisch geschrieben. Auf einer Vorsatz-Seite umkreist sie, was folgen wird. „In diesem Raum existiert Liebe“, heißt es programmatisch. Auch deren Gegenteil wird evoziert, aufgerufen, abwehrend beschworen, der Tod: „Es gibt keine Trauer. Es gibt kein Ende“. Ein besseres Fazit als „Feuerwerk, Nebelmaschine, rough Beats“, auf dieser Seite zu lesen, ist schwer zu finden.
Cover © kookbooks
Dann gibt es, trara, als sei man bei einer Vorführung anwesend, den Auftritt: „Worte betreten die Bühne“, gefolgt von der subkutan ironischen Ergänzung: „Die Leserschaft ist aufgeregt“.
Verena Stauffer, die 2018 mit dem Roman Orchis debütierte, wurde 2020 mit ihrem Gedichtband Ousia für den Österreichischen Buchpreis nominiert. Mit ihrem zweiten Prosaband Geschlossene Gesellschaft (2021) vollzog sie endgültig den Schritt in die Poesie. Diese lyrischen Aufzeichnungen von Promenaden durch Wien im Frühwinter 2020 waren Schraffuren. Sinnig hatte der Verlag als Umschlagmotiv einen auf Linien abstrahierten Stadtplan von Wien gewählt.
Sinnlichkeiten, Bewegungen
Stilisiertes strandfröhliches Rosa-Blau hingegen zeigt der Umschlag von Kiki Beach. Darin geht es um Sinnlichkeit und sinnliches Erfahren. Um Sehnen und Metamorphose, um ersehntes Morphen.
„Wenn er sanft in diese Nacht geht Sanft in diese Augen fällt Die Münder wie verrührt Zungen verflossen“.
Es geht um Bewegung und Beweglichkeit. Dabei fällt rasch eines auf – die Verse sind nicht gebrochen, sie laufen nicht um. Ein solches Enjambement verbietet sich Stauffer. Stattdessen setzt sie Blöcke aufs Papier. Sie orientiert sich also am Sinngehalt ihrer Sätze.
„Wenn alles, was ab jetzt geschrieben wird Nur mehr an dich gerichtet ist Ohne dass jemand es merkt, jedes Wort Jede Geschichte, eine Geschichte für dich Der Trick ist, den Fokus zu halten“
Der erste Zyklus „Sweet Valley“ stimmt bereits viele Motive an, die späterhin auftauchen. Es ist der Weg ins Orangental von Zypern. Die Schilderung ist präzis gesetzt; und diese Genauigkeit vertieft sich bei jedem Lektüredurchgang. So ist bereits der Auftakt „Wenn keiner weiß“ ein scheinbar simpler. Dabei wird sich erweisen, dass das „Wenn“ Möglichkeitspotenziale birgt, das „keiner“ sich ins Gegenteil wenden wird. Und das mit dem Wissen wird abgelöst, abgestreift, ersetzt – bereits in der folgenden Zeile – durch Instinkt, rasch durch Imagination, Empathie, Fiktionsbefähigung.
Räusche und Verweise
Kunstvoll verschränken sich im Tonfall unterschiedlich gehaltene Passagen mit- und gegeneinander. Sie sind in Schriftart und Schriftbreite voneinander abgesetzt. Denn die schmal gesetzten Strophen deuten da schon auf Rausch, Entgrenzung, Entkörperlichung hin. Bald ist die Landschaft verwildert, Zeugnisse der Zivilisationen sind ausrangiert und jeglichen Nutzens beraubt. Dann der erste Ausbruch, nach dem Abbiegen auf der Schotterstraße trifft man auf sinnlichen, fast erotischen Genuss, hier erst einmal kulinarisch. Mandarinen werden von den Ästen abgezogen, aufgebrochen, verzehrt: „Ein Rausch sie zu pflücken, aufzureißen, in sie zu beißen“.
„Sand zu Staub: Ihr sind neulich Flügel gesprossen Echt jetzt. Am Kiki Beach, als Sturm wehte Das Meer schwappte in flachen Wellen auf sie zu Im leeren Hals der Sonnenschirmständer Spielte der Wind ihr eine heiligere Sinfonie“
Stauffers ausgreifend aphrodisiakische, dabei zeitgenössisch durchwirkte Zyklen sind anspielungsreich. Schon Ousia war philosophisch bildungsgesättigt, immerhin ist Stauffer ja universitär ausgebildete Philosophin. In Kiki Beach tauchen Persien und Xerxes auf, Dylan Thomas wird direkt zitiert, Walt Whitman indirekt, es gibt Sangbares und fast Sangesfähiges:
„Gerede in ein Nichts geschluckt Nur diese Augen suchen, finden, schauen Nur dieses neue Universum bauen In der Kollision ihrer Blicke knallt es Die Wand im Rücken ist nicht fest genug“
Wieder einmal führen Daniela Seels Verlag kookbooks und ihr Buchgestalter Andreas Töpfer verspielt Artistisches vor. Töpfer kreiert Seiten mit wenigen Worten, dafür in ungewöhnlich großer Schriftgröße. Gern rückt er die Seitenzahl zentral in die Mitte der Seite und verwendet eine serifenlose, gut lesbare Type, die wie die frische Überholung einer Bauhaus-Schrift anmutet.
In einer poetologischen Nachbemerkung zur ersten Sektion erläutert Stauffer, dass das zu Anfang aufscheinende Orangental eine – Erfindung sei. Auf die Insel Zypern projiziert, müsse man sich selbst auf die Suche nach diesem fiktiven Ort machen. Dann, noch wichtiger: „Nur wer auf sein Ziel fest genug fokussiert ist, findet den Weg. Dort angekommen, wird er reich belohnt.“ Ebendies trifft auf diesen äußerlich schmalen, äußerlich wie im Innern buchstäblich nicht mit Reizen geizenden Band zu.
Verena Stauffer: Kiki Beach. Liebesgedichte. kookbooks, Berlin, 2024. 72 Seiten. Euro 25,95