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Kosmisches Leuchten aus Katzenfell-Kotzball

Kosmisches Leuchten aus Katzenfell-Kotzball

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Stefan Schmitzer liest Kleine Korrespondenzen


Der Band „Kleine Korrespondenzen“, der bei Das fröhliche Wohnzimmer – Edition erschienen ist, folgt einem einleuchtenden Spielprinzip: 

„Neunundzwanzig Autor*innen sendeten ein Gedicht oder eine visuelle Arbeit. Diese wurden sodann nach dem Zufallsprinzip eine*r der Autor*innen zugeteilt, auf dass diese darauf literarisch oder bildnerisch reagiere. Somit hat jeder Teilnehmer, jede Teilnehmerin einmal einen Ausgangstext geschrieben und einmal auf einen solchen reagiert.“ 

Was dieses Verfahren laut dem Vorwort des Buchs abbilden will, das sind die verschiedenen Arten, auf welche künstlerische Produktionen einander beeinflussen, initialisieren, bedingen können. Es leistet solches auch durchaus: Aus dem thematischen Schlagwort des einen Texts wird die Formvorgabe des anderen – oder es erfährt ein gleiches Motiv zwei ganz unterschiedliche Deutungen – oder aus einem Spaß wird Ernst, bzw. umgekehrt – oder von einem Medium geht’s in ein anderes … doch wesentlich interessanter als das intendierte Objekt der vorgelegten Schau – der, sagen wir, Einfluss-Fluss zwischen den Autor*innen und Texten – erscheint zumindest mir die „Tönung des Glases“, durch welches wir in „Kleine Korrespondenzen“ auf die, nun ja, die Korrespondenzen schauen: 

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Was die Sammlung nämlich über 29 Modi des Korrespondierens hinaus sichtbar bekommt, ist, was man den höchst eigenen Zungenschlag der zeitgenössischen „Wiener Szene“ nennen könnte, oder zumindest einer Wiener Szene. Dieses zu Tage tretende Idiom ist tendenziell unprätentiös; offen hin zur aphoristischen Sonderform des Witzes; firm verankert in einer Textwelt, in der die Errungenschaften der Sprachkritik (a) Teil der Inneneinrichtung, aber (b) auch nicht mehr das Neueste sind; es scheut Einfachheit nicht und unterwirft sich ohne Umschweife der Forderung, die eigenen Gründe nennen können zu sollen. Darüber hinaus sind die gemeinsamen Referenzmaterialien, -orte, -texte und -sounds, wie sie als Hintergrundrauschen sicht-, hör-, spürbar werden, näher dem Erfahrungsschatz von Alltag in Ostösterreich als den diversen sogenannten Elfenbeintürmen.

Dass die bildnerischen Beiträge eine leichte Schlagseite in Richtung Fanzine-Ästhetik aufweisen, und die literarisch weiterverarbeitete „Ur-Rede“ vieler der Texte eine Art vor-diskursiver Unbekümmertheit inszeniert – das sind dagegen Effekte, die wir vielleicht eher dem Kraftfeld des Verlags als der Gravitation Wienerischer Literatur zuschreiben sollten: 

Das Fröhliche Wohnzimmer – Edition ist, wie die interessierte österreichische Leserin vermutlich weiß, als Teil der Gesamtkonstellation Fröhliches Wohnzimmer Produkt eines (auch) Autor*innen-Duos, das uns wohl nicht widersprechen würde, wenn wir es als „zwei fröhliche Altpunks mit Textaffinität“ beschreiben. Paradoxerweise steht der einzige mögliche Kritikpunkt an „Kleine Korrespondenzen“ mit der Herausgeber*innen- und Verlagsposition in Bezug auf das fertige Buch in Zusammenhang: ich kann als österreichischer Rezensent noch so selbstverständlich erkennen, dass diese Anthologie offensichtlich ein Produkt gerade dieses und keines anderen Kollektivs darstellt, und keinen weiteren Gedanken an so eine Äußerlichkeit verwenden – wenn aber weder im Vorwort, noch auch im Impressum oder im Klappentext auch ausgewiesen ist, wer es nun war, der*die gerade diese Autor*innen, gerade zu diesem (welchem?) Zeitpunkt, eingeladen hat, dann kennt sich auch der neugierigste Leser erst mal nicht aus, der ohne weitere Information in, sagen wir, Wolfenbüttel zu „Kleine Korrespondenzen“ greift. (Aber vielleicht traue ich da dem hypothetischen Wolfenbütteler Leser zu wenig zu, und der vom Fehlen der Herausgeberinformationen erweckte Eindruck des Selbstgesetzten, des sozusagen Naturwüchsigen dieser 29 Korrespondenzen überfordert nicht, sondern reizt zur Lektüre. Wer weiß?)

„Kleine Korrespondenzen“ unterhält also unkompliziert mit Unterhaltungen zwischen Texten – mich zum Beispiel, als einen Freund sowohl von Katzen als auch von abenteuerlichen Metaphern, unterhält es am meisten auf der Doppelseite 12a und 12b, wo erst, links, jopa jotakin aus einem Katzenfell-Kotzball kosmisches Licht schlägt, und dann, rechts, Sophie Reyer mit der Aufgabenstellung „Gedicht feat. pelzigen Kleinräuber als Parabel“ davongaloppiert, um nicht zu sagen davonflattert –, die auch verlässlich so dosiert sind, dass je eine von ihnen in einer morgendliche Tramfahrt o.ä. gut Platz hat.

See Also

Kann man so lassen. Und lesen.

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Autor*innen: Patricia Brooks, Lukas Cejpek, Ann Cotten, Sabine Dengscherz, Bass Dreyer, Rica Fuentes, Petra Ganglbauer, Alice Harmer,  Michaela Hinterleitner, Christine Huber, Lisa Jakob, jopa jotakin, Udo Kawasser, Ilse Kilic, Andrea Knabl, Magdalena Knapp-Menzel, Margret Kreidl, Astrid Nischkauer, Ines Oppitz, Sophie Reyer, Tizian Rupp, Nikolaus Scheibner, Birgit Schwaner, Martina Sinowatz, Karin Spielhofer, Rudolf Stueger, Günter Vallaster, Eleonore Weber, Fritz Widhalm

Kleine Korrespondenzen, Wien: Das fröhliche Wohnzimmer – Edition, 2019. 60 Seiten.

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