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Ein unsichtbarer Helfer

Ein unsichtbarer Helfer

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Daniela Chana über Timo Brandts Gedicht „Das Handtuch“


Das Handtuch 

                                     für Cornelia
 
An Tagen, an denen der Wind weht,
an Tagen, an denen der Wind kräftig weht,
(die Windabdrücke
auf dem Fensterglas)
            
wünsche ich mir, ein Handtuch zu sein.
 
Nicht weil ich leicht wäre oder weich, schön,
wenn meine Farbe eine Form von Wind mitmacht,
die nie ein Mensch, vielleicht ein Vogel noch
nachmachen kann. Nein, nein – ich wär nur gern
 
ein Handtuch, um einmal zu trocknen,
einmal den Zustand verändern zu können,
in dem sich ein anderer Mensch befindet – ohne
dass ich mich dazu veräußern oder ihn in dringen
muss.
 
Ich will ein Handtuch sein und alle nassen Stellen
an einem warmen Körper trocknen. Dann
will ich im Wind hängen und all die Nässe soll
langsam, langsam trocknen.

Ebenso wie in der zwischenmenschlichen Kommunikation gibt es auch in der Lyrik etwas Unsichtbares, tatsächlich Nonverbales zwischen den Zeilen, das den besonderen Reiz ausmacht. Gedichte können zwinkern, schmunzeln, flirten; durch eine Pause an einer überraschenden Stelle, ein unerwartetes Enjambement oder einen Endreim, der sich ankündigt und dann doch nicht kommt. In dem Gedicht Das Handtuch von Timo Brandt ist es der Ton, der zwischen zwei Polen changiert: Auf der einen Seite ist da eine geradlinige Direktheit, aber auf der anderen Seite noch etwas viel Charmanteres, ein gekonntes Spiel mit einer gewissen „Ungeschicktheit“. Dieses Gedicht klingt nicht wie mit Lineal und Zirkel konstruiert, es wirkt nicht aufgesetzt und in ein Schema gepresst. Stattdessen scheinen der Rhythmus und die Zeilensprünge absichtlich unperfekt. Es ist, als stünde eine geliebte Person vor einem, die errötet und sich bei der Liebeserklärung verhaspelt, weil sie so aufgeregt ist. Könnte es irgendetwas Reizvolleres geben?

Wenn wir uns auf den Inhalt einlassen, vollzieht dieser Text mit uns eine wilde Tour, lockt uns zunächst in eine bestimmte Richtung, um uns dann zu überraschen. Zuerst macht das Gedicht uns schmunzeln, weil es so unschuldig und fast absurd anfängt: „An Tagen, an denen der Wind weht, / […] // wünsche ich mir, ein Handtuch zu sein.“ Warum sollte sich das jemand wünschen? Und warum gerade an solchen Tagen? Warum nicht eher an heißen Tagen, an denen alle ins Schwimmbad gehen? Man vermutet ein Nonsens-Gedicht und liest amüsiert weiter, wie sich der Sprecher scheinbar um Kopf und Kragen fabuliert: „Nicht weil ich leicht wäre oder weich oder schön“ und dergleichen mehr.

Aber dann plötzlich, wenn wir es am allerwenigsten erwarten, erwischt es uns und packt uns an einer ganz verletzlichen Stelle: „[…] um einmal zu trocknen, / einmal den Zustand verändern zu können, / in dem sich ein anderer Mensch befindet […]“.

Völlig aus heiterem Himmel konfrontiert es uns mit einer tiefen menschlichen Sehnsucht: jemanden trösten zu können, für jemanden da sein zu können. Vielleicht sogar ohne dass wir von der anderen Person besonders beachtet werden: Wer schenkt schon dem Handtuch, mit dem er sich abtrocknet, große Aufmerksamkeit? Wer würde behaupten, dass er sein Handtuch liebt?

Exakt an dieser Stelle enthüllt das Gedicht plötzlich die Weisheit, die in ihm steckt, denn gerade diese Rolle als Gebrauchsgegenstand scheint dem lyrischen Ich Befreiung und Erleichterung zu verschaffen: Es will den anderen abtrocknen, „[…] ohne / dass ich mich dazu veräußern oder in ihn dringen / muss.“

Dieses Ich hat verstanden, dass Beziehungen nie ganz ohne Verstellung und Manipulation auskommen. Es möchte sich selbst und dem Gegenüber diese Farce ersparen und zieht es daher vor, Gebrauchsgegenstand zu sein, ein unsichtbarer Helfer, der das Wasser aufsaugt und anschließend im Wind hängt und trocknet. Somit wird am Ende des Gedichts noch eine weitere Dimension spürbar, nämlich die Nässe des Handtuchs, nachdem es verwendet wurde. Der getränkte unsichtbare Helfer erinnert an einen Psychotherapeuten, der nach Feierabend selbst Supervision benötigt.

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Es ist ein typisches Merkmal der Gedichte des 1992 geborenen Timo Brandt, dass große Erkenntnisse und tiefe Gefühle in einer unprätentiösen Sprache ausgedrückt werden. Fast alle Gedichte in seinem Band „Ab hier nur Schriften“, der 2019 im Aphaia Verlag erschienen ist, fallen zunächst durch ihre klare Sprache und ihren Humor auf, ehe sich in einer zweiten oder dritten Lektüre der tiefere Sinn offenbart. „Das Handtuch“ ist ein eindrucksvolles Beispiel für die Frische seiner Bilder. Hier macht sich zweifellos der Überblick bewährt, den der Vielleser Brandt als Rezensent und Essayist über die gegenwärtige Lyrikszene hat und der ihm somit ein treffsicheres Gespür für das Neue und Unverbrauchte vermittelt.

Das Ende des „Handtuch“-Gedichts beschwört das Bild vom Trocknen an der Leine herauf. Damit schließt sich elegant der Kreis zum Wehen des Windes am Beginn. In dieser Achterbahnfahrt, die völlig stimmig und rund endet, liegt die Kunst dieses Gedichts. Und in ganz vielem, das unsichtbar und unaussprechlich ist.

Timo Brandt: Das Handtuch, in: derselbe: Ab hier nur Schriften, Berlin/München: Aphaia Verlag, 2019, S. 9.

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