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Was ich werden wollte I

Was ich werden wollte I

Die ersten fünf Gedichte auf unsere Ausschreibung vom Februar anlässlich des heutigen Welttags der Poesie. Vielen Dank für eure Einsendungen!


Helene Proißl

was ich werden wollte
 
zwischenzeitlich fußballgott
nachgeahmt
mit bein schnell
aushol und schieß
ich tore tore tore
will einzige frau sein
in mannschaft
glorreich begoldet
tribünenfähnchen im
wind spiel spring
ich so toll schau
messigleich, messias
natürlich, langhaariges wortspiel
ich so tüchtig in mann und
glied einfügt
endlich tor, weibkörp so bewundert
mit wunden bedeckt
heiliger grasfleck, richtig wildes huhn
hände hoch high flatter
abklatsch mit vorbild
nachher im backstage
gerahmt

Markus Köhle

Was ich werden wollte
 
 
Brieffreund
Weberknechtin
Dachs in der Knipsbörse
 
Herzkammerzofe
Leitplanke auf Überlandautobahnraststätten
Wegwarte auf Grenzbergen
 
Gärtnerin von Pflanz
Bürzel, Lunte, Wedel, Stoß
Hegerin von Wortknospen
 
Rolltreppe aufwärts
Streifgebietserweiterer
Dritter Mann (im Viererbob)
 
Brutpfanne
Rost im Grillnest
Schwarte, Laus, Egel
 
Einpflegeroboter von Satzpflegefällen
Hagestolz und Vorurteileverurteilerin
Stiller Geschlechtsteilhaber
 
Sturm und Drang und Akne-Ätna (in der Pubertät)
Zankstelle, Zwistgarant mit Sollbruchstelle (später)
Absperrband in orange-grün
 
Trugschlüsselroman
Wurmfarnwedel, Holzbock, Schusterkäfer
Vorgartenzwerg mit Schubkarre
 
Köfteköder am Falaffelfeld
Monokulturfichte im Gemeindewald (an schlechten Tagen)
Bitternis im Keller (an noch schlechteren Tagen)
 
Flittergeist in der Flasche
Leitkegel auf frischen Mittelstreifenstraßenmarkierungen
Warndreieck im Kofferraum
 
Frech
Frei
Nie erwachsen

Brigitta Höpler

was ich werden wollte
 
wenn nicht bandenführerin 
dann aber sachensucherin
oder wenigstens rothaarig

Raoul Eisele

See Also

vielleicht liegt es am Gespür, am nachsinnen
meines vorangegangenen Ichs, wenn ich mich 
im Spiegel betrachte und denke, was 
aus mir geworden ist, was stimmt noch 
mit dem Selbstbild, das ich einmal
von mir hatte überein, zwischen diesem 
vorgezeichneten und der Vorstellung einmal 
so zu malen wie Schulz oder Hergé, wie 
Uderzo und Franquin und ich zeichne 
meine Spuren, schreibe alles nieder, Bilder 
sagen mehr als ich es manchmal auszudrücken weiß 
und doch das Malen ist mir nicht geblieben, die 
Wörter immerhin so manches Mal, wie schön
kann es doch sein, wenn man in alten Zeiten blättert
Ilse Kilic Porträt

Ilse Kilic

was ich werden wollte
 
                gewidmet meiner Mutter, Ottilie Brenessel
 
was willst du einmal werden,
fragte die tante. nichts, sagte ich, nichts!
meine mutter hielt die luft an
mit falte zwischen den augen.
 
ich dachte, ich bin einfach ilse,
das genügt mir vollauf.
es war ja nicht leicht,
ilse zu sein.
 
der beruf ist gemeint! meine mutter zischte erzürnt:
irgendwann brauchst auch du einen beruf. 
meine mutter hatte einen beruf. ich zitiere ihr credo:
eine frau braucht beruf, führerschein plus kurzhaarfrisur.
 
ach, mutter, mutter was soll ich wollen?
soll ich die welt retten als superman,
ärztin sein in wildfremden ländern,
geld stehlen zu gerechter verteilung?
 
meine mutter zischte schon wieder. 
sie war interessiert an einem beruf 
für mich, ihre tochter, welt retten
ist kein beruf. stehlen verboten.
 
ich wollte so viel, 
aber dann, irgendwann, 
wollte ich schriftstellerin sein
und so kam es: ich schreibe.
 
ich wurde nicht ärztin.
ich wurde nicht diebin. 
nicht superheldin, nicht star.
ich wurde nicht nichts.
 
da bin ich. 
ich schreibe fußnoten zu dieser welt-
geschichte, zu diesen geschichten.

Die POESIEGALERIE dankt nochmals herzlich allen teilnehmenden Dichter*innen. In den nächsten Tagen und Wochen werden wir die weiteren Einsendungen veröffentlichen.

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