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Die Suche nach dem Neuen und dem Guten

Die Suche nach dem Neuen und dem Guten

Ob Sprach-, Klang-, bildende Kunst oder nicht zuletzt Performance: Jörg Zemmler ist in allen genannten Kunstrichtungen gleichermaßen zu Hause und verbindet sie in Personalunion zu transmedialen Räumen, in denen er forscherisch, spielerisch, experimentell und mit viel Sinn für schrägen Humor den Dingen des Lebens und der Welt auf den Grund geht. Und dies auch sehr erfolgreich: Der Musiker Jörg Zemmler gewann 2006 den FM4-Protestsongcontest, der Autor und Performancekünstler Jörg Zemmler wurde 2009 österreichischer Slam-Meister und reüssierte 2013 beim Ö1-Lyrikwettbewerb „Hautnah“. Nach dem Lyrikband „papierflieger / luft“ (Klever Verlag 2015), der 2019 in die 2. Auflage ging und dem Prosaband „Seiltänzer und Zaungäste. 114 Begegnungen“ (Klever Verlag 2019) liegt mit „Wir wussten nicht warum. Nur Zweifel gab es keine“ (Limbus Verlag 2022) ein neuer Lyrikband mit Zeichnungen des Autors vor, der ebenso in kurzer Zeit die zweite Auflage erreichte. Und mit „Neueste Südtiroler Landeskunde. 116 Dorf- und Stadtstiche. Mit Zeichnungen des Autors und einem Vorwort von Günther Pallaver“ (Edizioni alphabeta Verlag 2023) ist vor wenigen Wochen schon das neueste Buch erschienen. Günter Vallaster befragt Jörg Zemmler zu seiner Lyrik-Neuerscheinung und weiteren breit gefächerten Kunstprojekten.

Du vereinigst in produktiver Weise sehr viele Ausdrucksformen in dir: Google listet dich als Musiker, sehr oft trittst du als Autor und Performer in Erscheinung und unter dem Namen TETA gibt es auch den bildenden Künstler mit zahlreichen Ausstellungen. Gibt es eine Grund- oder Hauptrichtung, von der du ausgehst oder ist dein Zugang eine produktive Verschränkung à la der Autor als Musiker, der Musiker als bildender Künstler oder ist gleichberechtigt alles zu einer Richtung verbunden, wie es etwa Dada als künstlerische Maxime verstand?

Mehr als eine Ausrichtung oder ein Konzept ist es bei mir die Lust, denke ich. Eine mitunter auch kindliche Lust am Ausprobieren, am Versuch. Und dabei auch die Suche nach Neuem. Und weiters auch das Bedürfnis nach Abwechslung, unbedingt, die mir die verschiedenen Tätigkeiten bieten. Es ist immer die Suche nach dem -Guten-, eine gute Melodie, ein guter Satz, ein gutes Stück Film, eine gute Ausstellung. Dabei halte ich es mit Niki de Saint Phalle, die meinte, wenn sie sich die Alternativen angesehen hat, blieb nur Künstlerin werden übrig.

Bereits dein Lyrikband „papierflieger / luft“ zeichnet sich dadurch aus, dass du mit wenigen, aber wohlgesetzten Worten dichte Bildwelten eröffnest und mit feinem Gehör Klangdimensionen erschließt. Damit erzielst du eine schwebende Leichtigkeit und der Titel des Bandes wirkt diesbezüglich auch programmatisch. Dieser Eindruck setzt sich auch in deinem aktuellen Lyrikband „Wir wussten nicht warum. Nur Zweifel gab es keine“ fort. Ist Leichtigkeit ein wesentliches Kriterium, das Poesie ausmacht?

Oh nein! Es gibt auch andere, -unleichte- Poesie und die ist nicht schlechter und auch nicht besser. Alle Ansätze sind legitim. Meine ist halt eher die -luftige-, bis jetzt zumindest. Aber im Kurzgeschichtenband „Seiltänzer und Zaungäste“ ist beispielsweise weniger von Leichtigkeit, mehr von Schwere drinnen. Für mich zumindest.

„Wir wussten nicht warum. Nur Zweifel gab es keine“ enthält, so auch der Klappentext, Liebesgedichte und auf S. 16 heißt es: „Das schönste Wort von allen / Du“. Was macht das Du zum schönsten Wort?

Alles, was im Buch stehen soll oder muss, steht dort. Ich würde die betreffende Stelle erklären, wenn ich die Frage beantworten würde und das möchte ich nicht. Das soll der Leser, die Leserin für sich entscheiden.

Fotocredit: Jörg Zemmler

Die Gedichte in „Wir wussten nicht warum. Nur Zweifel gab es keine“ sind, wie ebenso dem Klappentext zu entnehmen ist, seit 2017 auf Reisen, in Wien und in Südtirol entstanden. Sind manche der Gedichte auch mit Orten verbunden und an welchen Orten schreibst du vorzugsweise? Beispielsweise im Café, im Zug oder eher in Refugien, im Freien oder zu Hause? Und zu welchen Tageszeiten?

Ich habe weder bevorzugte Orte, noch Zeiten. Dafür aber ein bevorzugtes
-mindset-. Für mich ist es wichtig, den Kopf frei zu haben, um mich in das Schreiben, die Sprache, die Personen und die Gefühle hineinversetzen zu können bzw. im besten Fall selbst zu werden, zu sein. Um dort hinzukommen, schaufle ich mir immer wieder Zeit frei, wo ich dann „ab- und hineintauchen“ kann.

Sehr interessant und witzig zu lesen sind u. a. die Gedichte am Beginn des Bandes, die aus den Namen bestehen, die das Paar in guten wie in schlechten Zeiten füreinander findet:

Ich nannte dich
Nieselregen
Teufelsgeige
Rückwärtsgang
Und Himmelgrün
Ich nannte dich
(...)
Mich nanntest du
Radetzkymarsch und
Knoblauchsauce
Sonnenschirm und
Goldfischlein
(...) 

(Jörg Zemmler, Wir wussten nicht warum, S. 9 f.)

Der Linguist Ernst Leisi spricht in seinem Standardwerk „Paar und Sprache“ (Narr Francke Attempto, Tübingen 5. Aufl. 2016) von einem „Privatcode“, in dem die Vielfalt neuer Namen für Geliebte als Versuch gedeutet wird, die Einschränkung durch ein Wort bzw. einen Namen zu überwinden, um damit auch der Überwältigung von der Situation Ausdruck zu verleihen, durchaus auch vergleichbar mit religiös motivierter Sprachmagie, „dass für die Geliebte wie für die Gottheit gerade hundert Namen gut genug sind“ (Leisi, Paar und Sprache, S. 45). Wie sind die Vielfachbenennungen in deinen Gedichten motiviert?

Ich kannte Ernst Leisi nicht, bis eben jetzt gerade und ich finde das von dir gewählte Zitat auch möglicherweise treffend für diese Gedichte, also auch für die Vielfachbenennungen. Dass die zwei Protagonisten der Gedichte sich verschiedene und mehrere Namen geben oder gegeben haben, dafür kann ich nichts, das ist so passiert.

In auch möglicher narrativer Lesart hat das Paar in den Gedichten einige Abenteuer zu bestehen, denn es erlebt einige Konflikte und Kollisionen mit einer Reihe von Regeln und Normen, die es aber mit viel Witz und Einfallsreichtum löst. Das erinnert mitunter sogar an Slapstick, etwa an die Stummfilmkomödie „One Week“ (dt. „Flitterwochen im Ferienhaus“) mit Buster Keaton und Sybil Seely, in der ein Paar in einer Woche ein Selbstbauhaus zusammenzimmert, das zwar am Ende von einem Zug erfasst wird, was dem Paarglück letztlich aber keinen Abbruch tut.

Es fiel uns einmal
ein Spiegel aus den Händen
Zwei Meter mal drei
Von den Scherben 
Spielten wir Puzzle
Zum Schluss machten wir ein Foto davon
Ließen es zweimal drucken dann auf Glas
Größe je gleich groß wie der Spiegel
Zwei Meter mal drei
Eines behielten wir
Stellten es im Garten auf 
Das andere wieder 
Mit Genuss in Scherben

(Jörg Zemmler, Wir wussten nicht warum, S. 36)

Wird mit den Gedichten einem tradierten, idealisierten und patriarchalisch geprägten Regelkanon eine Wiederentdeckung des Spielerischen entgegengesetzt, auch als Plädoyer für Gleichberechtigung und als gemeinsames Spiel auf Augenhöhe?

Absolut möglicherweise wahrscheinlich schon. Ja. Total. Unbestreitbar. Unter Umständen. Bestimmt. Wer weiß. Gut möglich. Ich bin Anarchist und Feminist, das merkt man wohl den Gedichten an. Und nicht nur ihnen.

Im sehr bibliophil gestalteten Band ist jedem Gedicht am Ende eine filigrane Illustration beigestellt, die vergleichbar mit der Poésie spatiale von Pierre und Ilse Garnier noch weitere Räume öffnet und bisweilen wie ein Sprungbild zwischen Zeichen und Zeichnung oder auch als Piktogramm zum Gedicht wirkt. Sind die Zeichnungen Teil des Entstehungsprozesses deiner Gedichte oder werden sie am Ende als Illustrationen ergänzt?

Die Zeichnungen habe ich danach gemacht. Dabei habe ich versucht, mich in die schreibende, erzählende Person der Gedichte hineinzuversetzen, wie sie zuerst das Gedicht als eine Art Nacherzählung vergangener Episoden der Liebe aufschreibt und dann möglichst direkt, also ohne nachzudenken, sie noch mit einer Kritzelei ergänzt. Als ob der Gedanke, der zuerst in ein Gedicht geformt wurde, dann auch in eine Kritzelei gegossen wird. Deshalb sehe ich die Zeichnungen weniger als Illustrationen der Gedichte, sondern als eigenständige Wiedergabe desselben Inhalts.

Konzert und Lesung im UFO Jugend- & Kulturzentrum Bruneck am 18.5.2022. Fotocredit: UFO Jugend- und Kulturzentrum Bruneck

Wie ein Soundtrack zum Gedichtband wirkt deine aktuelle Musikproduktion „Piano Bar“, in der mit Live-Loops und ohne elektronische Nachbearbeitung sehr atmosphärisch Klavierklänge ausgelotet werden. Die Stücke heißen z. B. „Vor Glück“, „Behutsam“, „Ein Tanz“. Als Einflüsse nennst du John Cage, Eric Satie, Morton Feldman, Beethoven, Free Jazz, Minimal Music und The Notwist. Wie bist du auf das Klavier gekommen und was hat es mit der „Piano Bar“ auf sich?

Bei meinem Großvater mütterlicherseits stand, als ich noch Kind war, im Keller ein Klavier und schon damals war ich höchst fasziniert von diesem Instrument. Später kamen mir leider nur mehr selten Klaviere unter, aber falls doch, habe ich immer darauf herumgeklimpert, improvisierend. Der Klang eines Klavieres ist für mich unglaublich schön, nahezu perfekt. Vor drei Jahren sah ich dann die Zeit gekommen, mich daran zu versuchen, ein Album aufzunehmen. Improvisiert, und eben mit live generierten Loops und digitalem Sustain. Als idealer Ort für Konzerte dieser Art fand ich eben Piano Bars, von da her kommt auch der Titel, eben am liebsten im Hintergrund, während die Gäste Gin Tonic trinken, flirten, Häppchen zu sich nehmen und am besten auch rauchen.

Jörg Zemmler, „Piano Bar“ live @ Tatum Art Palermo 28.12.2021. Screenshot aus dem Live-Mitschnitt auf Youtube: Jörg Zemmler

Bildnerisch-künstlerisch trittst du seit einiger Zeit als TETA in Erscheinung, mit einer Werkserie, die – wie etwa die Konzeptkunst – Sprache ins Bild setzt, mit an Schablonengraffiti (Stencils) erinnernden Lettern, die sich von der aufgesprühten Acrylfarbe leuchtend weiß abheben. Den Katalog „FÜNF ZIEGEN / TETA (Jörg Zemmler)“, mit Grafik und Layout deines langjährigen musikalischen Kompagnons vor allem bei BOB Peter Pichler, der seit kurzer Zeit auch den Ausstellungs- und Veranstaltungsort „lokal-“ in der Margaretenstraße 134, 1050 Wien betreibt, hast du in der transmedialen Poesiegalerie 2022 ausgestellt. Sind die Text-Anteile sprachliche Funde, gewissermaßen sprachliche Objets trouvés / Ready-mades oder Miniaturgedichte als Text-Interventionen, vergleichbar mit den „Truisms“ von Jenny Holzer?

Zweiteres. Die Texte auf den Bildern sind Ergebnisse langen, wirklich langen Nachdenkens.

Ausstellung TETA/Jörg Zemmler, „OFFEN / DAVIERT / APERTO /OPEN / I“ im Circolo – Kreis für Kunst und Kultur St. Ulrich in Gröden, 1.4. – 16.4.2023. Fotocredits: Jörg Zemmler

Jörg Zemmler (TETA), „TETA / FUENF ZIEGEN“ in der
transmedialen Poesiegalerie 2022. Fotocredit: Poesiegalerie

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2004 ist mit „leihworte. gedichtiges und un-“ mit CD „leihtöne. be- und vertontes“ in der mir damals frisch übertragenen edition ch ein multimediales Protobuch erschienen, für das du sogar einen eigenen Schriftfont auf Basis deiner Handschrift kreiertest. Die Abschlussredaktionssitzung hatten wir damals im Innsbrucker Viaduktbogenlokal mit Madonnenfigur „Babalon“. Bei der Titelfindung tief in der Nacht meintest du „Es sind lei (= nur) Worte“ und ich habe im lauten Barbetrieb und von Musik umspült missverstanden: „Ah, Leihworte“. Die „leihworte“ sind inzwischen vergriffen und können nur noch in Bibliotheken ausgeliehen werden. Würdest du aber einen Reprint in Betracht ziehen?

Ich erinnere mich natürlich! Es war eine große Freude, mit dir dieses Buch zu machen. Und das erste Mal vergisst man nie.
Antiquarisch sind sie auch noch zu finden, glaube ich, die „Leihworte“. Eine Neuauflage würde mich schon freuen, vielleicht auch in einer anderen Aufmachung, vielleicht diesmal mit einem -klassischen- Schriftfont. Aber: Wer soll das machen, das Layout, die Druckvorstufen, wer soll das finanzieren. Benko mag ich nicht (fragen).

Jörg Zemmler, „leihworte. gedichtiges und un-“ und „leihtöne. be- und vertontes“ (edition ch 2004), Cover und Blick ins Buch. Fotocredit: Günter Vallaster

Du hältst ja auch einige Workshops an Schulen. Wie gestaltet sich die Zusammenarbeit mit den Lehrpersonen, Kindern und Jugendlichen? 

Das mit den Workshops stimmt so nicht ganz, ich halte ab und zu Schullesungen. Die Lehrpersonen, Kinder oder Jugendlichen sind meist durchwegs zufrieden bis inspiriert mit und von dem, was ich dann dort abliefere. Der bürokratische Aufwand, um so etwas stattfinden zu lassen, ist teilweise halt wirklich horrend. Das hätte ich natürlich gern anders.

Fotocredits: Gymnasium „Walther von der Vogelweide“ Bozen

Vor Kurzem ist auch schon dein neuestes Buch „Neueste Südtiroler Landeskunde. 116 Dorf- und Stadtstiche. Mit Zeichnungen des Autors und einem Vorwort von Günther Pallaver“ im Edizioni alphabeta Verlag Meran erschienen. Worum geht es darin?

Ich habe die 116 Südtiroler Gemeinden hergenommen und ihren Hauptorten neue Geschichten zu Entstehung und Herleitung der Namen erfunden. Dazu habe ich jeweils noch Zitate von den Tourismushomepages serviert. Ein lustiges Buch, finde ich. Dann Gebäude von den Orten abgezeichnet, Rathäuser, Fußballplätze, Recyclinghöfe, Schulen, Kreisverkehre und so.

An welchen weiteren Projekten arbeitest du derzeit?

Zur Zeit arbeite ich an Videos, in denen ich die jeweiligen Geschichten aus dem Buch erzähle, dabei filme ich an den -Originalschauplätzen-. Sonst arbeite ich an einem Remix von einem Song von Florian Ebner und versuche eine Punkband zu gründen. Mich wieder zu verlieben. Ans Meer zu fahren.

Vielen Dank für das Gespräch!

Ich danke dir, Günter, es hat Freude gemacht.

cover Zemmler wir-wussten-nicht-warum-nur-zweifel-gab-es-keine

Jörg Zemmler: Wir wussten nicht warum. Nur Zweifel gab es keine. Gedichte. Mit Zeichnungen des Autors. Limbus Verlag, Innsbruck 2022. 96 Seiten. Euro 15,-

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