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Lyrik aus Niederösterreich

Lyrik aus Niederösterreich

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Klaus Ebner liest Patricia Brooks’ (Hrsg.) Weites Land


Patricia Brooks, ihres Zeichens Autorin und Vorstandsmitglied der Grazer Autorinnen Autorenversammlung und der Literaturvereinigung Podium, ist Herausgeberin einer Anthologie von Lyrik aus dem Bundesland Niederösterreich. Das Buch enthält Gedichte von zwanzig zeitgenössischen Autor*innen, deren Namen ich hier in alphabetischer Reihenfolge nennen möchte, da aufgrund des beschränkten Raums nicht von allen Beteiligten Verse zitiert werden können: Ewald Baringer, Isabella Breier, Isabella Feimer, Waltraud Haas, Thomas Havlik, Regina Hilber, Gerhard Jaschke, Nils Jensen, Gerald Nigl, Hermann Niklas, Sophie Reyer, Eva Riebler, Gerhard Ruiss, Ferdinand Schmatz, Julian Schutting, Maria Seisenbacher, Lydia Steinbacher, Cornelia Travnicek, Sylvia Treudl und Fritz Widhalm.

Die Lyriker*innen vertreten so gut wie jede Altersgruppe und kommen aus den verschiedensten Ecken Niederösterreichs, wie etwa Korneuburg, Drosendorf, Unterretzbach, Krems, St. Pölten, Amstetten, Ziersdorf, Hainburg. Der Titel Weites Land verrät unter anderem, dass die Texte auf die Landschaft Bezug nehmen, auf die kulturelle Vielfalt ebenso wie auf Denkräume und Sehnsuchtsorte, die, aufgrund der persönlichen Biografien in irgendeiner Weise mit dem größten österreichischen Bundesland zu tun haben. Eine Besonderheit, auf welche die Herausgeberin zu Recht stolz ist, stellen die Illustrationen dar; Zeichnungen und Bilder, die von fünf der im Buch enthaltenen Lyrikerinnen stammen. Dies zeigt die künstlerische Vielfalt des Landes und weist darauf hin, dass viele Autor*innen auch in anderen Kunstsparten arbeiten, wie hier in der bildnerischen.

Es ist eine gute Idee, Lyriker*innen vorzustellen, die nicht nur als zeitgenössisch gelten, sondern als Lebende unter uns weilen; so ist es durchaus möglich, sie im Rahmen von Lesungen und anderen kulturellen Veranstaltungen hautnah zu erleben. Die paar Gedichte, die jede Person für diese Anthologie beisteuerte, mögen dafür ein willkommener Einstieg sein.

Cover © Literaturedition Niederösterreich

Prinzipiell arbeiten alle der Vertretenen mit freien Rhythmen, doch im Detail zeigen sich dann die Unterschiede. Bei manchen sind die Verse sehr kurz, bei anderen so lang, dass die lyrischen Sätze sich mitunter der Prosa annähern. Während die einen eine vollständige Interpunktion verwenden, fällt diese bei anderen weg, und dazwischen gibt es durchaus Varianten, etwa, wenn Kommata nur im Versinnern vorkommen, aber nicht am Zeilenende.

Weites Land enthält konventionelle Landschaftsbetrachtungen und experimentelle Sprachspiele, Momentaufnahmen und Spiegel emotionaler Zustände, auch durchgehende Kleinschreibungen, aber mehrheitlich die standardsprachliche Groß- und Kleinschreibung. Auch humoristische Herangehensweisen kommen vor, die Leser*innen schon mal schmunzeln lassen.

Eine zeitgemäße Lyrik

Nahezu experimentell muten manche Formulierungen von Ewald Baringer (* 1955) an. Hingegen geht er in „naturkundliche ausstellung“ auf die Tatsache ein, dass heutzutage viele Menschen, insbesondere Städter*innen, den Bezug zur Natur längst verloren haben:

(…)
wie oft erfährt der rabe
dass er ein rabe sei
laut vorgelesen wird’s vom schild
damit er’s nie vergisst
wir können lesen schon
schreiben ins gästebuch
es hat uns gut gefallen
und sind doch froh
den ausgang offen vorzufinden
und draußen einen vogel
der lebt und singt
von einer freiheit, die wir nicht
in den vitrinen sahen und die wir
nur vom hörensagen kennen

Eindrücke der Kindheit oder auch eines ganzen, langen Lebens schaffen Emotionen. Manche mögen es als Nostalgie bezeichnen, als Heimatgefühl oder einfach Verbundenheit mit einer Landschaft, die sich vielfältig einprägte. Gefühle können ambivalent sein, und das Land vermag seine Bewohner*innen magnetisch anzuziehen, aber auch, wenn der Magnet umgedreht wird, von sich fortzustoßen. Julian Schutting (*1937) schrieb „Ins Herz“:

Mit Ybbssteinen, mit Donauschottern, mit Fels-
trümmern hab ich mein Spiegelbild beworfen,
aber nicht einmal mit Steinschleudern
und Pistolenschüssen mich ins Herz getroffen –
zu Lebzeiten zu feig gewesen, einen Faustkeil mir
ins Hirn zu drücken.

Das Bild der Steine ist vielschichtig: Steine-Schotter-Felstrümmer, der ruhige und manchmal reißende Fluss – Donaustrom – spielt hier ebenso eine Rolle wie die Konnotation der Zerstörung – von Trümmern hin zu Waffen. Es geht aber darum, das Bild der Landschaft einzuprägen, was womöglich, so die Worte des Autors, nicht so gut klappt. Im starken Bild des Faustkeils sehe ich auch einen Bezug zur langen und archäologisch gut belegten Geschichte Niederösterreichs.

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cover ferner krötentage

Eine Verbundenheit mit der Landschaft der Kindheit drückt auch das Gedicht „Der Fluss“ von Lydia Steinbacher (* 1993) aus:

Ein Abdruck von Schlaf
im Donaugeschiebe
wie liege ich recht auf schräger Fläche
und was wenn die Wellen mich wecken?

(…)

An knochenverwaistem Ort
ich lehne mein Rad an die Mauer
das Kreuz, das hier getragen, namenlos
und wie einst du benenne ich die Pflanzen

Wie eine hohe Kunst
im richtigen Moment eine Deutung gesprochen

Ich kenne diesen Fluss.

Isabella Breier (*1976) lässt es sich nicht nehmen, ganz bewusst über den Tellerrand zu schauen. Sie vermischt ihre poetischen Betrachtungen gerne auch mal mit ganz anderen – mesoamerikanischen – Kulturen, und in „überall wartet das Warten auf mich / und jammert, es sei doch kein Substantiv“ spielt sie mit Sprache und Modernität:

Von instant, eternity, rhythm
steht etwas an der Decke,
in prätentiösem Gothic Font,
dort zwischen den Haken,
an denen unzählige Häute hängen,
in die kein Selbst, kein Vers je passt

Eine bunte Anthologie

Eine lyrische Anthologie von Autor*innen, deren primäre – und möglicherweise einzige – Gemeinsamkeit eine geografische Zuordnung ist, muss überaus unterschiedliche Herangehensweisen, Stile und Stimmen hervorbringen. Das ist so gewollt, und der Herausgeberin Patricia Brooks gelang es hervorragend, die unterschiedlichen Töne, Farben und Rhythmen in diesem Buch zu einem Kaleidoskop niederösterreichischer Kreativität zu bündeln. Dazu passen auch die grafischen Arbeiten der Künstler*innen, die wohl kaum unterschiedlicher sein können.

Zugegeben, ein wenig überraschte mich, dass kein einziges Dialektgedicht seinen Weg in den Band gefunden hat. Immerhin hat Niederösterreich auch in der Dialektliteratur einiges zu bieten. Wie ich den Verlag aber einschätze, kann ich mir gut vorstellen, dass in absehbarer Zukunft auch ein Buch erscheinen könnte, das sich ausschließlich mit niederösterreichischer Dialektlyrik auseinandersetzt.

Erschienen ist Weites Land in der Literaturedition Niederösterreich, die für die sorgfältige und ästhetische Gestaltung ihrer Bücher seit Jahren bekannt ist. So wurde auch aus der vorliegenden Anthologie ein in jeder Beziehung absolut empfehlenswerter Augen- und Ohrenschmaus.


Patricia Brooks (Hg.): Weites Land. Lyrik aus Niederösterreich. Literaturedition Niederösterreich, St. Pölten 2023. 120 Seiten. Euro 24,–

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