Maria Seisenbacher liest Maria Hubinger und Astrid* Walenta: flügelverleih für nachtschwärmer als Winterlektüre
Astrid* Walenta habe ich kennen gelernt, als ich auf einem Tisch stand. Nachdem ich meine eigene Lesung hinter mich gebrachte hatte, wurde ich von Astrid* wieder nach oben gebracht, mit viel Spaß, Freude und Gefühl am Wort. Der damals vorgetragene und vorgesungene Band hieß „Zeit stibitzen“ und auch er gehört zu meinen Lieblingen an Gedichtbänden.
Weil:
Astrid* Walentas Gedichte halten dicht, geben wenig preis und somit eines jeden Welt in sich und nennen sich deshalb Dichtung.

Astrid* Walenta ist vieles: Theatermacherin/Performerin, Cliniclownin, Kinderbuchautorin (z.B.: die kleine zitronenfalterin & CD, ferdinand der affe & CD) und Musikerin (esmeraldas taxi). Das schreibt sie von sich auf ihrer Homepage und ich füge hinzu: Lyrikerin. Gemeinsam mit Maria Frodl besticht sie mit witzig aus dem Rahmen fallenden Bildern, die verschrobene Perspektiven einnehmen.
© Seisenbacher
Ich würde sagen, das entspricht auch der Wahrnehmung, die ich von Astrid*s Kunst habe: witzig verschroben verschoben vielfältig feinfühlig.
Den „flügelverleih für nachtschwärmer“ durfte ich mir leihen, weil Astrid* so fein war und für meine Gedichte in der Provinz das Fenster öffnete, damit sie Heimat finden und nicht, wie jene unzähligen Nachtschwärmer*innen Dämmerung für Dämmerung in die Nacht fliegen müssen. Meine Gedichte haben sich quasi verfangen und jene von Astrid* eben auch. Das muss gesagt werden und darf nicht verschleiert werden. Wie es läuft, so läuft es nun einmal, auch wenn es mitunter fliegt. Und zugegeben, die Nachtschwärmer*innen werden weiter fliegen, mein Fenster steht schon offen und jenes meiner lieben Freundin wird gerade geöffnet, um die Schwärmer*innen einzulassen. Sie hat sich unsäglich in jene Nachttiere verliebt und schrieb mir Wochen vor deren Ankunft Nachrichten mit Liebesbekundungen. So ergeben sich die Dinge, noch bevor wir sie erahnen.
Also werde ich mein Fenster zumindest nächtens wieder schließen, damit jene Nachtschwärmer*innen in Freiheit bleiben. Des Nachts im Flug, unter Tags im Versteck im Schlaf, wahrscheinlich in Wolfsmilch, Kiefern oder Labkraut erleuchtet ihre Schönheit, die wenige sehen, weil es nachts so grau ist. Dieses Nachtgrau, das ich liebe, auch das muss gesagt sein, wird den Nachtschwärmer*innen im Buch entzogen. Maria Hubinger legt Muster, Farben und Schichten frei, aufgelegt auf alten Dachschindeln einer Almhütte – und wir wissen, welche Wesen sich durch Ritzen und Gebälk des Nächtens drücken. Ein Sammelsurium an geflüsterten Geschichten von Schwärmer*innen und so manch anderen Wesen raunen durch den Band, und eine Menge Pflanzen, mögen sie Versteck oder auch Nahrung sein – auch sie, sie schwärmen aus …
zeitfliehend dem himmel ins antlitz (altweltlicher linienschwärmer)
Großräumige Bilder mit farbig, leuchtenden Flügeln gehen Hand in Hand mit an die Essenz gehaltenen Gedichten. Wer Beschreibung oder Wissen im Althergebrachten sucht, wird hier nicht fündig. Das Buch versteckt diese, wie die Nachtschwärmer*innen sich selbst, vor dem Licht.
Obwohl: Hintergrund für die Entstehung des Buches sind Maria Hubingers Malereien für das Projekt „witness to change“, das sie gemeinsam mit Thomas Zuna-Kratky 2015 gegründet hat. Sie erforschen mit Kunst und Wissenschaft den Landschaftswandel im Kamptal/Niederösterreich am Beispiel von Schmetterlingen. Also eine Menge Wissen, was hier zusammengetragen und aufgezeichnet wird. Und meines Erachtens gibt es keine andere Sprachkunstform als das auf die Essenz reduzierte Gedicht, das Wissen aus seiner Sprache in eine Dichtheit heben kann, die das Geheimnis vor dem Wissen wieder sichtbar und spürbar macht.
das weiß legt sich hin ganz sachte und bleibt (grauer fleckleibbär)
Allein der Name legt sich in meine Vorstellung und vermischt dort Leibgedanken mit Bewegungsmotivation. So flattern die Falter in Falten des Buches dahin und hinaus und regen dazu an, selbst auszuschwärmen und sie zu suchen, die Schwärmer*innen mit ihren zu Farben und Formen gefalteten Flügeln, die Nachtgrau transformieren. Am besten im Wald oder am Waldrand, wo keine Laternen stehen und die Taschenlampe der einzige Kegel ist, der sich mit Dir und den Ausgeschwärmten der Nacht dreht …
Such Dir einen aus! Leih Dir Flügel!
Maria Hubinger und Astrid* Walenta: flügelverleih für nachtschwärmer
Bibliothek der Provinz 2024, Euro 28,00