Isabella Breier
vor dem Geheul
Zum 70. Jahrestag von Allen Ginsbergs erster öffentlicher Lesung von „Howl“ bei der Six-Gallery-Lesung in San Francisco am 7. Oktober 1955
vor dem Geheul eine stark gekürzte Fußnote einer x-ten Fußnote kopflos verkopfter Stunden (hat tip: A. Ginsberg, „Howl“) ich sah die besten ... - klar, das weiß, das kennt man schon - ... die besten Bilder von Beatnik-Dekaden vorbeiziehn, an meinen Augen, und alle fünf Sinne kooperierten, und auch mein sechster, der ordnete ein, kramte herum, fiel sich ins Wort und seufzte, als wäre es zuckendes Fleisch, darüber kreisten die Geier, die Adler, ich sah's nicht genau
ich rief nach dem Zweifel, der war bei den Schlangen zu Gast, die klagten beredt
über ihr "Schicksal", wähnten sich verleumdet, aufs gröbste missverstanden, völlig falsch interpretiert dazu stießen Füchse, oder waren's Wölfe, notierten auf raschelnden Blättern Listen von Klischees
(wir lispeln uns die Gischt, die Luft in Silben, wir zupfen euch das Lied, das End zu Ende) (da schaukeln mich schon runde Stunden im Schoß, da grüß ich, brav nickend und kopfüber hängend, den immerzu, immerzu schwätzenden Horizont)
der Zweifel verneigte sich vor jedem Irrtum, der sich als solcher vorstellen mochte, er kam mit Verzögrung und reichte mir Schlüssel, als ich ihn fragte, was man denn fände, im Archiv der weitren - Oh, oh! - Optionen, der Pfade, die de facto nie betreten wurden noch bevor ich wusste, wo wann das Archiv sei, war er verschwunden und ich abgelenkt, von der Schönheit der Girly Girls plus Tomboys, zum Beispiel, frühlingshaft gekleidet, sie schlenderten so, als wären sie frei, das zu tun, was sie wollten und ich folgte ihnen, im schönbrunngelben Cab, bis zur Station, wo der Eindruck nachließ, der alten wie jungen Gesichter Ausdruck zeugte von Druck
(die Brille hatt ich aufgesetzt, um zu wissen, wohin ich fahren würd, ich stieg jetzt aus, so flott ich konnt, doch das Geheul musste warten, denn ich wollte luftigere Bilder beschreiben, die einer Blase, die aufsteigt und absteigt und aufsteigt, ohne zu platzen, bevor sie echt, echter Sinn macht)
(murmeln Moleküle längst zersprungner Blasen, ich müsse zum Brotjob, klaub Krümel vom Kopfstein, schnapp Splitter vom Asphalt, zupf Häute, zieh Hüllen aus sämtlichen Winkeln, glaub noch, dass die Wahrheit zumutbar sein sollt, erspäh auf dem Weg lose Dichtung im Dickicht, Spektakel auf Straßen, Illusionen in Gassen - im Feld nebenan, im Dienst des Erkennens, womöglich zerlegt, an Rändern des Trubels ver-, ent-, zerstaubt)

Zuletzt erschien von Isabella Breier: mir kommt die Hand der Stunde auf meiner Brust so ungelegen, dass ich im Lauf der Dinge beinah mein Herz verwechsle. Lyrikband in zwölf Kapiteln. Mit Illustrationen von Hannah Medea Breier. Edition fabrik.transit, Wien 2019. 328 Seiten. Euro 17,-
