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Von fremden Ländern und Menschen

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Sophie Reyer liest Hannes Vyorals Europa. Eine Reise


„Wenn einer eine Reise tut, dann kann er was erzählen“ – so lautet ein alter Spruch, den wir alle kennen, und der doch nichts von seiner Weisheit eingebüßt hat. Was aber macht das Reisen zu einem so spannenden literarischen Thema? Dazu muss ausgeholt werden: Die Idee der Reise, insbesondere die der Heldenreise, ist eine, die vor allem der amerikanische Mythenforscher Joseph Campbell (1904–1987) erforschte. Er fand heraus, dass alle bekannten Märchen und Mythen der Welt auf einem einfachen Grundmuster beruhen: Die Taten eines Protagonisten ereignen sich auf einer Heldenfahrt oder Heldenreise, manchmal im Englischen auch als „Quest“ bezeichnet, die durch typische Situationsabfolgen und Figuren gekennzeichnet ist, die uns in allen Kulturkreisen begegnen.

Heldenreise, burgenländisch

Einer, der sich den Mythos der Heldenreise auf eine sehr individuelle und lyrische Art zu eigen gemacht hat, ist Hannes Voyral. In seinem neuen Band Europa. Eine Reise begibt sich der burgenländische und zum Teil in Wien lebende Dichter auf Spurensuche und reist dabei quer durch den Kontinent, um literarischen Fundstücken zu begegnen, Wort und Wissen zu sammeln und die ihn umgebenden Kulturkreise sprachlich neu zu beleuchten.

Cover © Edition Lex Liszt

Gewidmet ist dieser Band einer Reisegefährtin, nämlich Patricia Hladschik, doch diese Widmung ist nicht das einzige selbstreferentielle Moment in Europa: Im Klappentext heißt es:

das reisen ist
das glück der liebenden,
man hat zeit 
auf bahnhöfen
in vollen zügen
genießt man das nichtstun
und sich genügen

Wir sind also gespannt, schlagen das Buch auf und befinden uns sofort in einer anderen Welt.

Ankommen als Anfang von allem

Womit sonst kann ein Reisebericht beginnen, wenn nicht mit einer Ankunft?

den rucksack abgesetzt
unweit der busstation 
ich bleibe nicht lange

Mit dieser einfachen Passage eröffnet der Dichter seinen Band, und die Einfachheit „holt uns alle ab“, wie man umgangssprachlich so schön sagt, Wir reisen mit, in Gedanken, springen auf die Boote der Worte auf und lassen uns von den Wellen der Sätze mittragen. Ganz plätschernd und leicht ist das – und doch nie ohne Tiefgang.

Wenn Form und Inhalt ineinander aufgehen

Faszinierend ist an Europa vor allem die formale Struktur der Texte, die sich auf stringente Art und Weise durch den ganzen Band zieht. So ist jedem der komprimierten und in Kleinbuchstaben gehaltenen Gedichte eine kleine, kursiv gesetzte Ortsangabe hinzugefügt. In „san sebastián auf la gomera, kanaren, spanien“ entstand beispielsweise dieser Text:

t u c k e r n – das blut 
in den adern 
am südlichen mittag 

verschlissen die blüten 
von ginster 
und jacaranda 

hände winken 
stimmen fliegen 
zum farblosen himmel 

stumm die alten
im pinienschatten 
beim dominospiel

Die Route führt uns über die Pyrenäen nach Frankreich, weiter ins märchenhafte Island, aber auch nach Russland, in die Ukraine, über Griechenland in die Türkei und schließlich nach Italien und wieder zurück bis nach Wien.

Die Texte wirken belebt, wie Fenster in andere Welten: Man hört das Rauschen vorübergehener Passanten, beobachtet angstvoll einen Waldbrand, wandert über Berge, genießt das Abendlicht, das nirgendwo so golden glänzt „wie am kopfsteinpflaster in den altstadtgassen prags“, und ärgert sich über touristischen Rummel, etwa beim Lesen des Gedichtes „Touristenpest“.

Sehnsucht, Bewegung

Dass Reisen immer mit Sehnsucht zu tun hat, wird in dem Gedicht „aus der vogelperspektive“ klar, womit der Anflug auf die zu Portugal gehörende Inselgruppe der Azoren gemeint ist:

See Also
Steiner benedikt spuren-in-einem

wir hatten flügel
aus den augen wachsend
sehnsucht
weit hinauf zu reichen
und herabzuschaun 
im traum zu fliegen
im wolkengegliederte
vraum über inseln und containerschiffen

Aber auch das Sichfortbewegen selbst wird in Hannes Vyorals Texten zum Thema, etwa im Gedicht „blinder passagier“:

in den zug steigen
nichts sehen
die augen tränen
die brille ist beschlagen
und draußen die landschaft
regenverhangen

Hier endet die Reise?

Die Sprache hat in ihrer Einfachheit eine Kraft, der wir uns nicht entziehen können. So bewegen wir uns mit, wandern durch die Welten und laden Hirn und Herz mit Bildern auf. Und auch wenn die Reise über 230 Seiten lang ist, ist sie viel zu schnell zu Ende: Das lyrische Ich macht noch einen kurzen letzten literarischen Zwischenstop, der sich „erfrischung“ nennt:

zitronen können nur
vorm blauen himmel stehn

zitronenblätter
sind die grünsten

Dann kommt es, leider schon wieder in Wien, zur Ruhe:

hier endet die reise
und dort wo ich 
war bleibt erinnerung 
und da wo ich sein werde

erinnerung – 
die eine weiß nichts 
von der anderen

In diesem Zustand des Schwebens entlässt Hannes Vyoral uns ermutigt und voller tönender und duftender Bilder in den Alltag. Ein gelungenes Buch.


Hannes Vyoral: Europa. Eine Reise, Edition Lex Liszt, Oberwart, 2023, Euro 22,–

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