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Was wir der Welt antun

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Klaus Ebner liest Petra Ganglbauers Lauergrenze, Mensch!


Mit Lauergrenze, Mensch! legt Petra Ganglbauer einen Lyrikband vor, der Leser*innen sprachlich und inhaltlich durchaus fordert. Ein rasches Überfliegen, also ein Nebenbei-Lesen, ist kaum möglich; man sollte sich genug Zeit nehmen, um das sprachliche Universum ebenso auf sich wirken zu lassen wie die zeitkritischen Aussagen, die darin transportiert werden.

Petra Ganglbauer wurde 1958 in Graz geboren. Nach ihren Studien der Anglistik, Germanistik, Geschichte und Medienkunde wurde sie bereits in den 1980er Jahren als Autorin und Radiokünstlerin aktiv. Sie veröffentlicht Lyrik, Prosa und Essays und ist für ihre experimentelle Literatur bekannt. Inzwischen blickt sie auf eine reiche Publikationsliste zurück, zu der auch Hörspiele und -stücke zählen.

Cover © Limbus Verlag

Jahrelang war Ganglbauer Präsidentin der Grazer Autorinnen Autorenversammlung, und sie leitet den Lehrgang Schreibpädagogik. Die Autorin lebt seit mehr als zwanzig Jahren in Wien.

Die aufsteigenden Wörter verraten
Die Mikrowellen der Felder (entäußerte
Seelenprovinzen) als Überhandlung
Vor-Stoß und Schwund!

Experimentelle Sprache und gesellschaftskritisches Engagement prägen den vorliegenden Gedichtband – der obige Text ist ein erstes Beispiel dafür sowie gleichermaßen eine Art Motto. Das Buch ist in die drei Abschnitte „Lauergrenze, Mensch!“, „Schmerzgrenze, Tier!“ und „Reizgrenze, Pflanze!“ unterteilt und gibt damit die landläufig empfundene Dreiteilung eukaryotischen Lebens wieder (weil der Mensch hier vom Tierreich abgegrenzt ist). Mensch, Tier und Pflanze – das ist, was wir alle mit freiem Auge sehen und dessen Beeinträchtigung durch Umweltverschmutzung, Raubbau und kriegerische Konflikte weithin bekannt ist oder zumindest sein sollte. Diese Themen bilden das Rückgrat des Buches.

Form im Vordergrund

Petra Ganglbauer arbeitet mit Vorliebe mit und an der Sprache, sie schreibt Texte, die vielen als experimentell gelten. Sie holt den formalen Aspekt in den Vordergrund; das geschieht inhaltlich ebenso wie optisch: Die Gedichte enthalten kursiv gedruckte Passagen, manchmal nur ein einziges Wort und seltener auch Wörter oder Verse in Blockbuchstaben, die aufgrund ihres Aufschrei-Charakters sofort ins Auge stechen. Alle Gedichte sind kurz, haben in der Regel weniger als zehn Zeilen; aus diesem Grund sind alle hier wiedergegebenen Texte vollständige Gedichte.

Durchgehend verwendet die Autorin freie Rhythmen und verzichtet auf Gedichttitel. Mich überraschte, dass jeder Vers mit einem Großbuchstaben beginnt, völlig unabhängig davon, ob davor ein Punkt, ein Komma oder ein klassisches Enjambement steht. Letzteres ist ein sehr häufiges Stilmittel in dieser Lyrik; in einigen Fällen werden sogar Wörter zerrissen, Komposita entweder als unabhängige Wörter oder mit Bindestrich dargestellt. Der zweite Teil beginnt dann stets mit einem Großbuchstaben, es sei denn, es handelt sich um ein Adjektiv, Partizip oder Verb, das mitten im Vers steht.

Auch Tiere bluten als
Fleischliches Gewölk nicht
Fest & farbig, blind –
Links aus-gestreckt
Aufgeflogen, ausgestreut
Fallobst &
Gefranste Wirklichkeit.

Hier sehen wir ein Wortspiel, das durch den Tausch eines einzigen Buchstabens („blind-Links“) eine zusätzliche Dimension erhält, eine Binnentrennung („aus-gestreckt“) und Bilder, bei denen jedes Wort auf die Waagschale gelegt wird und etwas gilt. Auffällig wiederum der häufige Einsatz des Kursivdrucks, der sich durch so gut wie alle Gedichte zieht. Es handelt sich um eine Hervorhebung, die oft wie eine Art Erklärung wirkt.

Mehrmals wird der kursive Ausdruck zudem in Klammern gesetzt. Neben den üblichen Satzzeichen kommen das kaufmännische Und (&), Gleichheitszeichen (=) und Schrägstriche (/) vor. Im folgenden Fall verwendet die Autorin sogar eine Durchstreichung, um eine Variante der getanen Aussage optisch ins Gegenteil zu verkehren:

Die Gedächtnisspur rumpelt seit
Dem Einschlag der Nachrichten
Der Sichel-Schrift.
Die Ära aus Erd-Geschichte (herauf
Geschaufelt) dreht sich im Kreis.
Die Störstellen, das Zerteilte
Zerweilte
Ist.

Man muss schon sehr genau lesen, weil einem der eigene Kopf oft einen Streich spielt und etwas anderes liest, das womöglich eher vermutet wurde. Ganglbauers Texte spielen mit dieser typischen Lesereaktion und setzen bewusst auf Wörter, die durch einen einzigen Buchstaben oder eine Silbe die Bedeutung in eine andere Richtung lenken, als Lesende es vielleicht erwarten.

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Gesellschaftspolitisches Engagement

Dass Formales in den Vordergrund rückt, soll keineswegs heißen, dass Inhaltliches verschwände oder zu Beiwerk geriete. Lauergrenze, Mensch! ist ein Buch, das stellenweise wie eine Anklage wirkt. Es handelt von der prekären Situation, in der wir uns befinden: Umweltverschmutzung, menschengemachtem Klimawandel, Krieg. Vom achtlosen, ausbeuterischen Umgang mit unserem Heimatplaneten spricht das folgende Gedicht:

Zertreten (Demontieren) der Kleinsten
Wesen. Mit rollenden Füßen über
Die Un-Wesen.
Unter Fußtritten & Walzen bricht die Tektonik.
BRÜLL! ERDE! BRÜLL!

Die Autorin deutet in diesem Text an, dass wir mit unserem Verhalten sogar die Tektonik durcheinanderbringen könnten, was realiter wahrscheinlich nicht der Fall ist. Unbestritten ist jedoch, dass die tektonischen Aktivitäten seit Jahrmilliarden und weiterhin auf die Erdkruste wirken und etwa der afrikanische Kontinent am ostafrikanischen Graben auseinanderbrechen wird. Solche Ereignisse kommen dem „Brüllen“ gleich, und die Gleichgültigkeit der Menschen gegenüber Mikrofauna und Flora wird die Auswirkungen absehbar verschlimmern. Auf die unfassbar mörderischen Kriege, die in der letzten Zeit losbrachen, nimmt unter anderem dieser geradezu schmerzvolle Text Bezug:

Die Flug-Maschine liegt
Auf dem Leichenfeld
Das Drohnencamp ist löchrig:
Riesensieb.
Kleinste
(UND NOCH KLEINERE!)
Menschen klettern
Darin herum:
Aktives Minenfeld.

Ganglbauers Lyrik ist eine littérature engagée im besten Sinne Sartres. Dennoch, oder vielleicht gerade deshalb, darf auch ein semantischer Bezug auf die Sprache und das, was mit Sprache getan und sogar angerichtet werden kann, nicht fehlen:

Fast und beinahe wäre das alles
Kühlendes, Gewässer, grünend
Eine Helle. Weiße Hirsche.
Wölfe. Flüchtendes, gejagt durch
Trockene Wälder aus Alphabetschrott.
Fast und beinahe das alles
Sprache!

Lauergrenze, Mensch! erschien in der Lyrikreihe des Limbus-Verlages, die seit Jahren der Lyrik unseres Landes ein angemessenes Forum bietet. Das Buch hat feste Buchdeckel, ist fadengebunden, relativ kleinformatig und dadurch sehr handlich, mit einem Lesebändchen versehen und wie gewohnt sehr sorgfältig editiert und gestaltet. Ein Buch, das man auch der Haptik wegen sehr gerne zur Hand nimmt.


Petra Ganglbauer: Lauergrenze, Mensch! Limbus, Innsbruck, 2023. 96 Seiten. Euro 15,–

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