Reinhard Lechner liest Christian Teissls Hügelland, südlich

Die Gedichte von Christian Teissl drehen sich bei oberflächlicher Lektüre um Natur-, Landschafts- und Wetterphänomene. Diese begegnen uns zunächst physisch: als Hügel, Wolkenzüge oder Vogellieder. Der Dichter beobachtet sie und nutzt sie für eine Introspektive – als poetische Spiegelung von Erlebnissen und Erinnerungen.
Cover © Edition Thurnhof
Das lyrische Ich nimmt das Gespräch mit der Landschaft auf, um sich darin zu verorten. Charakteristisch ist dieser Lyrik ein leichtfüßiger Tiefgang, in ihr übersetzen sich scheinbar wie von selbst die bedichteten Naturschauspiele in Schauplätze und Erlebnisse menschlicher Existenz. So heißt es im eröffnenden Gedicht „Briefe an einen Landstrich“:
Viele Gewitter lang tauchtest du mich als ich ein Kind war, ins Licht deiner Blitze und mit einem Mal hatten alle Geschichten Anfang und Ende, begannen mit einer geborstenen Wolke und mündeten in einen Regenbogen.
Christian Teissls Lyrik ist mitunter der (Natur-)Romantik als Literaturepoche verbunden. Nature Writing erfreut sich aktuell großen Zuspruchs, mit unterschiedlichsten Zugängen und Spielarten der poetischen Naturbetrachtung und Verdichtung. Angesichts der Klimakatastrophe, auf welche wir Menschen den Planeten Erde zurichten, bekommt solches Schreiben auch einen explizit oder implizit kritischen Impetus.
Christian Teissl, 1979 geboren, so heißt es im Buch „wuchs in jener Landschaft auf, von der in diesem Buch die Rede ist: dem Hügelland Sausal bei Leibnitz in der südlichen Steiermark“. Bereits in seinem Lyrik-Debüt Entwurf einer Landschaft (2001) findet Christian Teissl zu einer eigenen poetischen Sprache zwischen Naturkunde, Philosophie und Romantik. Diese findet sich seither durchgängig wieder in einem umfangreichen Werk aus fünf Lyrikbänden (u.a. Stadtauswärts, 2016), Sachbüchern, Essays und journalistischen Beiträgen. Zudem widmet Teissl sich in kritisch-würdigenden Editionen den Werken vergessener österreichischer Dichter*innen – etwa jenem von Ernst Groll. Überdies übt er seit 2021 das Amt des Vorsitzenden des Österreichischen Schriftsteller/innenverbandes (ÖSV) aus.
Das Leben(-dige) kartografieren
Zurück zu den Gedichten aus Hügelland, südlich, seinen Wegen, Hügeln und Wäldern, die die Kulisse von Wettermetaphern abgeben. Da ist vom „Lichtlied“ die Rede, der „Nebelbucht“, dem „Regenvorhang“ oder der „Wolkenschrift“. Das poetische Sehen und Verorten von Umgebung und ihren Beschaffenheiten ist ein zentrales Moment der Gedichte, so etwa in „Ankunft“.
Bevor es dunkel wird, betrete ich dein Haus. Wärme umfängt mich schon auf der Schwelle. Ich gehe von Zimmer zu Zimmer, trete ans Fenster und sehe, wie die Bergbucht sich mit Schatten füllt und eine Wolke sich auflöst hoch oben, im sinkenden Licht.
Geografie und Meteorologie sind in diesen Gedichten poetische Orientierungskarten einer fiktiven Biografie. Das lyrische Ich entfaltet, erlebt und erinnert sich in und mit den Rhythmen von Jahreszeit und Natur. Teissls Beobachtungen und Notizen wollen dabei nicht vorwegnehmen und hellsehen, man findet keine „einfachen Reime“ aufs Leben wie in den Weisheiten und Vorhersagen eines Bauernkalenders. Die Gedichte geben dem lyrischen Ich Orientierung und Halt – wenn es etwa Abschied nehmen heißt von der Kindheit in „Nach dem Ende der Kindheit“:
Die alten Wege sind spurlos verschwunden, versunken im Hügelgewoge; nur das Haus wirft immer noch seinen Schatten, und der Schlüssel in deiner Tasche passt immer noch in sein Schloss.
Form und Inhalt
Die Gedichte in Hügelland, südlich sind auf drei Zyklen verteilt: „Briefe an einen Landstrich“, „Zwischen Aufbruch und Ankunft“ und „Landkarten, Jahreszeiten“. Die Form der Gedichte ist meist in freien Rhythmen gehalten, die Verse werden ohne Enjambements gesetzt, manches Mal bestehen die Gedichte aus Zweizeilern. Es stehen damit die Narrative und die Bildsprache dieser Poesie im Vordergrund. Nomina, die Teissl gerne verwendet, sind ein- oder zweisilbig wie „Ort“, „Herbst“, „Haus“, „Hügel“ oder „Sommer“. Die Adjektive beschreiben die titelgebende Landschaft, etwa „rebenüberwachsen“ oder „pappelumstanden“. Insgesamt greift Teissl eher wenig auf Metaphern zurück, meist erreicht er mit exakten Beschreibungen eine hohe Qualität in den Gedichten.
Zentral ist einigen Gedichten die Anrede eines Du (u.a. in „Wegbeschreibung“) beziehungsweise eines Wir (u.a. in „Aufbruch“). Die Anredepromonomen sprechen die Leser*innen an, sie können aber auch eine frühere Version des Autors bzw. des lyrischen Ich selbst meinen, wie in „Rückkehr zum Ausgangspunkt“:
Du suchst einen Ort, der sich an dich erinnern wird, wenn nichts mehr für dich, nichts mehr gegen dich zeugt, suchst ihn im Schlaf, im Erwachen, am Saum der Tage, an den Ufern der Nacht.
Gespräch mit der Vergangenheit
Die Lyrik von Christian Teissl ist ein lebhaftes inneres Gespräch mit der Vergangenheit, über die eigene Herkunft, über Kindheitsplätze, Erinnerungen und besondere Begegnungen („Erinnerung an eine Pilgerin“) sowie Freundschaften. Sie handelt aber auch von der Gegenwart, von unserer schnelllebigen Zeit und von flüchtigen Begegnungen, etwa in „Abend im November“:
Ein fremdes Gesicht im Zugabteil auf der Fahrt durch die Nacht. Ein Blick, der den Glanz des Himmels in sich trägt, während draußen der Horizont wie ausgelöscht ist. Ein Gespräch ohne Ziel, in dem Landschaft um Landschaft auftaucht und wieder verschwindet.
Kritisch diskutieren lassen sich Einzelheiten in der Gestaltung und Aufmachung des Buches. Es ist schade, dass den Texten ein Inhaltsverzeichnis zum Überblick fehlt, wenn der Band auch „nur“ vierzig Seiten lang ist (bei Lyrik ist die Seitenanzahl aber meist ohnehin eine relative Größe). Den Gedichten sind nämlich Offsetfarblithografien des Zeichners, Grafikers und Medienkünstlers Herwig Tollschein aus Pernegg beigestellt. Die Bild- und Farbsprachen beider Kunstformen erweitern einander (in den meisten Fällen), mit den Flachdruckbildern lassen sich die Gedichte noch weiterdenken und -erleben. Daher möchte man als Leser*in gerne wissen: Haben die Lithografien auch Titel? Und wünscht sich ein umfassendes Inhaltsverzeichnis der Texte und Bilder.
Ein zweiter Kritikpunkt betrifft die Aufmachung. Das harte und dicke Druckpapier ist eindrücklich angreifbar. Allerdings fühlt es sich beim Blättern spröde an und ist schnell „beleidigt“ – bekommt es einmal eine Delle, so bleibt diese. Vielleicht stecken dahinter Kostenfragen, aber möglicherweise lassen sich für die Reihe künftig trotzdem alternative Lösungen finden.
Fazit: Christian Teissl ist ein Autor der österreichischen Gegenwartslyrik, der das Herz der inneren Zustände aus genauer und liebevoller Beobachtung erschließt. Eine Leseempfehlung!
Christian Teissl: Hügelland, südlich. Edition Thurnhof, Horn, 2024. 40 Seiten. Euro 27,–