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noch gibt es luft / woerter zu fuellen

noch gibt es luft / woerter zu fuellen

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Johannes Tröndle liest Waltraud Seidlhofers stille flaneure


stille flaneure
wandern
ueber plaetze parcours

aus den simulierten gelenken
stossen
ecken und enden
greifen
nach bechern und glas

tasten tippen befehle

geraeusche sind als kurven beschrieben
die das gehen begleiten
die kleinen gestalten
auf den wegen
zu schiffen und gras

Das Titelgedicht in Waltraud Seidlhofers neuem Band ist insofern untypisch, als es die „stillen flaneure“, die „kleinen gestalten“ in ihren Gedichten ansonsten gerade nicht gibt. Keine Figuren, keine Personalpronomen, kein lyrisches Ich oder Du wandelt durch die meist knappen, kurzzeiligen Verse, die ihre eigenen, „stillen“ Räume beschreiben – und sie im Beschreiben erschaffen. Früh im Gedichtband heißt es:

Cover © Klever

an stelle von strassen
wird fluss gedacht
buchten und weiden

biegsame formen
auf denen
vorueber gehend
blaetter erscheinen
(…)

Das Fehlen von „flaneuren“, oder überhaupt: von Akteuren, von Handelnden (bezeichnenderweise finden sich häufig Passivkonstruktionen in den Gedichten: „sind … beschrieben“, „wird … gedacht“) macht das Geheimnisvolle vieler, und das buchstäblich „Gespenstische“ des folgenden Gedichts aus:

wenig wird nachgedacht
ueber die teiche
die kleinen und grossen
flaechen
die die gegend durchziehen
raine verbinden und halme
die sich spiegeln
zu einem wirren gespinst

gespenster tauchen
ueber die strassen
den nachklang
von wellen
der die grafik
des wassers
im anlaut
beschreibt

Poesie und Technik

Waltraud Seidlhofers poetische Landschaftsbeschreibungen sind immer klar im Ausdruck und von fast technischer Präzision. Von jeher kommen die Texte der Autorin (in aller Regel) ohne Eigennamen aus. Die Beschreibung ist unspezifisch, fiktional, doch bleibt die äußere Wirklichkeit, wie wir sie kennen, als Referent immer erkennbar. So bilden die Gedichte – jenseits aller Fantastik – eine gleichsam abstrahierte Wirklichkeit ab, eine auf ihre Grundbausteine gebrachte Welt („strassen“, „fluss“, „buchten“, „weiden“), deren „biegsame formen“ neu „gedacht“, neu erblickt werden können.

wie spiegel
haften
reste von realitaet
an vertrauten
gegenstaenden
licht streift
eine konturlose
masse
faellt ueber
schemen
gaerten
und gruen
als seien
reigen
automatischer
figuren
beharrlich
am werk

Die Absenz von „flaneuren“, von „figuren“, die lediglich als „gespenst“ oder, wie eben, „automatisch“ (also unbeseelt) „am werk“ sind, verleiht vielen Gedichten einen typisch kühlen Charakter. Zudem sind „figuren“ bei Waltraud Seidlhofer oft im geometrischen Sinn gemeint („kreisfigur“) – wie überhaupt Geometrie, Geografie und bildende Kunst als Bezugssysteme ständig präsent sind. „leinwand“, „palette“, „striche“, „geraden“, „kreise“, „ellipsen“, „grundriss“ wären weitere Beispiele für das verwendete Vokabular, und der gleichsam unpersönliche Blick von oben auf eine Welt, die wie ein Plan oder Modell erscheint, nimmt Maß, so scheint es, am Blick etwa einer Architektin, Stadtplanerin oder technischen Zeichnerin. Weiters kommen Distanzierungs- und Verfremdungsmittel zum Einsatz: Neben den schon erwähnten Passivkonstruktionen etwa die oftmalige Verwendung des Konjunktivs. Auch auf der typografischen Ebene gehen die Texte ihren eigenen Weg: mit konsequenter Kleinschreibung, Verzicht auf Interpunktion sowie Vermeidung von Umlauten, die stattdessen mit den jeweils entsprechenden zwei Buchstaben (ae statt ä) transkribiert werden.

Leichtigkeit und Utopie

Doch freilich erschöpfen sich die Texte nicht in ihrem technizistischen Gestus. Poetisch sind Waltraud Seidlhofers Gedichte nicht nur, weil Sprache in ihnen nach ästhetischen Prinzipien geformt ist, sondern weil sie jenseits blicken lassen: hinter die objektivierbare Welt oder über diese hinaus. Das Denken im Konjunktiv, in der Möglichkeitsform, birgt utopisches Potenzial:

See Also

waere die welt
so zu beschreiben
:
dass die linien
anders verliefen
fuer diesen auftritt
die szene
das spiel

In manchen wie zeitlos schwebenden, in sich ruhenden Gedichten scheint eine Utopie bereits verwirklicht – oder auf dem Papier verwirklicht, Sprache geworden. Der Beginn des folgenden Gedichts zeigt die Richtung an:

manchmal
sollten sich woerter
leichter reihen
zu helleren bildern
zu dattelhainen
und buchen

Sprachliche Schönheit und Leichtigkeit sind Merkmale vieler Gedichte des Bandes. Dazu eine besondere Form von Zurücknahme, eine Stille, die schon im Titel liegt. Es sind angenehm unaufdringliche „flaneure“, die, flexibel im Geist, nicht viel benötigen, um die Welt zu betrachten und neu zu formen: Luft – und gelegentlich auch etwas Wärme.

zwischen buechern
und bildern
werden atemzuege
probiert

noch gibt es luft
woerter zu fuellen

und der raum
wird als mantel
um die schultern
gelegt

Waltraud Seidlhofer: stille flaneure. Gedichte. Klever, Wien, 2025. 108 Seiten. Euro 20,–

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