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Fragebogen: Kirstin Breitenfellner

Fragebogen: Kirstin Breitenfellner

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Die POESIEGALERIE stellt ihren Autor*innen Fragen zum Schreiben

Heute die Antworten von Kirstin Breitenfellner

1. Schreibst du regelmäßig? Zu welchen Zeiten und an welchen Orten schreibst du?

Ich habe keine festen Schreibzeiten, aber ich schreibe am liebsten tagsüber, nicht am späten Abend oder in der Nacht. Und ich kann am besten schreiben, wenn ich alleine in der Wohnung bin. Deswegen stimmen meine Schreibzeiten schon seit Längerem mit den Kindergarten-, Schul- oder Bürostunden der anderen Familienmitglieder überein. Unterwegs schreibe ich selten, höchstens notiere ich Gedichtzeilen oder Ideen für Romane.

2. Ist Schreiben für dich eher Handwerk oder Inspiration? Wie passen diese beiden Pole zusammen?

Schreiben ist für mich ein Entschluss. Wenn ich etwas schreiben will, also eine Idee habe, bei der ich genügend Druck zur Verwirklichung spüre, dann tue ich es auch. Das bedeutet: Da ich (siehe oben) nicht unbegrenzt Zeit habe, frage ich mich gar nicht, ob ich nun inspiriert bin. Ich schreibe, weil ich Zeit dazu habe. Zum Handwerk wird das Schreiben für mich wie vieles andere erst durch Übung. Je mehr Gedichte oder Romane man schreibt, desto versierter wird man (hoffentlich). Das ist das Befriedigende an diesem Beruf, den man so gerne Berufung nennt: dass man im Laufe des Lebens nicht, wie es etwa im Sport ab einem gewissen Alter passiert, schlechter wird, sondern besser!

3. Wo findest du deine Themen? Eher in deinem Leben und unterwegs oder in Büchern und Medien?

Meine Themenwahl hat eher mit meinem Leben zu tun. Es geht um Ereignisse oder Gegebenheiten, die ich nicht verstehe und deswegen erforschen möchte und muss. Die Verwirklichung der literarischen Ideen und Fragen hat aber mit anderen Kunstwerken zu tun. Kunstwerke stehen in einer Reihe und korrespondieren miteinander, sie befruchten sich, distanzieren sich voneinander und führen so einen ganz eigenen Diskurs. Die Teilnahme am gesellschaftlichen Diskurs hingegen erfolgt für mich dagegen über die Medien – die ich lese und in denen ich, eher journalistisch, schreibe. Literatur beginnt dort, wo dieser Diskurs die Waffen strecken muss: bei den „ewigen Fragen“ nach Schönheit, Liebe und Tod, bei der Darstellung von Ambivalenzen und Paradoxen. Wenn man eine Frage hat, die man eben nicht in einem Zeitungsartikel beantworten kann, sondern für die man einen ganzen Roman braucht oder die Mehrdeutigkeit eines Gedichts.

Kirstin Breitenfellner © Ingrid Götz
Kirstin Breitenfellner © Ingrid Götz

4. Welche Bedingungen muss ein gelungenes Gedicht für dich erfüllen? Oder: Wann bist du sicher, dass ein Gedicht fertig ist?

Gedichte haben zwei Ebenen: den Inhalt und den Klang, der auch den Rhythmus beinhaltet. An der zweiten Ebene arbeite ich länger. Meine Gedichte reimen sich zumeist. Reime dürfen nicht zu aufdringlich, zu rein sein. Und auch der Rhythmus nicht zu glatt. Sonst klingen sie mechanisch. Meistens muss ein Gedicht ruhen, bevor es einem erneuten „Test“ unterzogen werden kann. Manche kommen aber auch schon perfekt imperfekt auf die Welt. Bei wieder anderen verkehrt sich beim Überarbeiten der Inhalt ins Gegenteil. Gedichte sind eigenwillige Wesen. Wenn sie aber fertig sind, würde ich sie nie mehr umschreiben. Wobei man in der Literatur natürlich niemals nie sagen sollte …

5. Trifft auf dich das Diktum zu, dass Dichter*innen Seismographen ihrer Zeit sind – und wenn ja, inwiefern? Anders gefragt: Siehst du für dich als Dichterin eine Aufgabe in Bezug auf das gesellschaftliche Ganze?

Es gibt Dichterinnen und Dichter, die in ihrer eigenen Welt leben. Manchmal beneide ich sie. Ich gehöre eher zu jenen, die am Puls der Zeit kleben und auch bisweilen darunter leiden. Wenn man einen Trend früh erkannt hat, ist das nicht immer hilfreich. Denn dann bemerkt es oft niemand, auch nicht im Nachhinein. Denn Bücher werden zwar für die „Ewigkeit“ geschrieben, haben aber nur ein halbes Jahr lang die Chance auf Aufmerksamkeit im öffentlichen Diskurs – bis die neuen Bücher erscheinen. Die Malerin Maria Lassnig, die Protagonistin meines fünften Romans und gleichzeitig meines ersten historischen Romans, hat dazu folgende Sätze in ihrem Notizbuch festgehalten: „Mein Leben unter dem Motto: Zu früh und zu spät. Oder zu früh ist zu spät.“ „Manche sind ihrer Zeit so weit voraus, dass sie nicht bemerkt werden oder dass sie reaktionär wirken.“ („Maria malt“, S. 259) Auch für eine Künstlerinnenkarriere kann es fatal sein, nicht zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort gewesen zu sein …

6. Kannst du mit dem Satz „Dichten ist ein brotloser Beruf“ etwas anfangen? Oder besteht in deinem Leben eine Spannung zwischen Schreiben und Einkommen?

Wie die meisten Literaturschaffenden kann ich nicht von meinem Schreiben leben. Die elf Jahre hauptberuflichen Korrekturlesens – wo man abends sein Hirn zu nichts mehr gebrauchen kann, jedenfalls nicht zum Schreiben – vermisse ich nicht. Ich bin froh, mein Einkommen mittlerweile mit „literaturnäheren“ Tätigkeiten bestreiten zu können wie etwa dem Verfassen und Redigieren von Rezensionen, Moderationen, Lesungen etc. Mein Ausgleich zur „Schreibtischtäterei“ ist seit drei Jahrzehnten das Unterrichten von Yoga. Es ist entspannend und befriedigend, mit dem Atem, dem Körper, vorhandenen Stimmungen und vor allem direkten Feedback arbeiten zu können. Das ist bei der Textarbeit ja nicht der Fall, wo man oft das Gefühl hat, dass die Texte in einem Schwarzen Loch verschwinden …

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7. Welche Autorinnen und Autoren, welche Gedichte haben dich geprägt, fürs Schreiben sowie fürs Leben?

Als ich sechzehn war, habe ich mir „Das große Hausbuch deutscher Dichtung“ (hg. von Hans Bemmann und Dietrich Pinkerneil bei Athenäum, 1982) gekauft und von vorne bis hinten gelesen. Es wurde mein Lebenselixier, das mich zutiefst berührt und immer wieder zu Tränen gerührt hat, und zwar in jeder Epoche, vom Barock über die Klassik bis zur damaligen Gegenwart von Ernst Jandl, Reiner Kunze oder Sarah Kirsch. Hugo von Hofmannsthal, Georg Trakl, Else Lasker-Schüler, Ingeborg Bachmann und viele andere gaben die Richtung ab, in die ich gehen wollte. Später kamen, im Studium der Slawistik, noch Anna Achmatowa, Marina Zwetajewa und Boris Pasternak dazu, sowie, nach meinem Umzug nach Wien, die österreichische Avantgarde. Derzeit lese ich Christine Lavant, eine berückend zeitlose Lyrik. Fürs Leben haben mich eher die Prosautorinnen und -autoren und Philosophinnen und Philosophen geprägt. Aber das ist eine andere Geschichte.

8. Woran schreibst du gerade bzw. woran hast du zuletzt geschrieben?

Da ich letztes Jahr mit „Maria malt“ meinen bisher dicksten und rechercheintensivsten Roman vollendet habe, geschrieben zwischen Lockdowns, Quarantäne und Homeschooling, „erhole“ ich mich nun mit einem Kinderbuch und Gedichten. Wobei die Rede vom Ausruhen bei der derzeitigen Weltlage, die auch in meine Lyrik, ob ich es will oder nicht, einfließt, wohl eher als euphemistisch zu bezeichnen wäre. Es drängen sich mir eher Gedichte auf, von denen ich nicht weiß, ob sie jemand wird lesen wollen. Sie wollen jedenfalls geschrieben werden, und diesem Auftrag komme ich gerne nach. Ein fertiges Gedicht hat das Potenzial, meinen Tag zu retten – egal, wie traurig oder fröhlich, schön oder schrecklich es ist.

9. Gibt es eine Frage, die du dir gerne selbst stellen und beantworten möchtest?

Warum hyperventilieren derzeit so viele über die Texte von KI? Manche sind übermäßig beeindruckt davon, welche „Qualität“ diese Texte haben. Andere haben Angst, als Testproduzenten bald überflüssig zu sein. Beides verstehe ich nicht. Denn wie ich mir kürzlich auf einem Symposium über „Das Gehirn und seine Gesellschaft“ von Fachleuten sagen lassen habe, ist die sogenannte Künstliche Intelligenz ein statistischer Papagei. Sie variiert gute und schlechte und vor allem mittelmäßige Texte, die zuvor eingespeist worden sind, ohne Rücksicht auf Schönheit und Sinn, nach Prinzipien der Wahrscheinlichkeit. Solche Texte können vielleicht beeindrucken, aber mich immer noch nicht interessieren, denn sie wurden nicht von jemandem geschrieben, der mir etwas zu sagen haben könnte. Das können nur Texte von Menschen. Und die werden für andere Menschen auch weiterhin relevant bleiben.


PS: Ich habe ChatGPT übrigens gefragt, ob man Gedichte über den Krieg schreiben darf, was er bejaht hat. Der Aufforderung, ein Gedicht über den Krieg in der Ukraine zu schreiben, das schockiert, wollte der Bot jedoch nicht nachkommen. Aber wie und warum soll man Gedichte über den Krieg schreiben, die nicht schockieren? Der Bitte, ein Gedicht über den Krieg in der Ukraine zu schreiben, das nicht schockiert, kam ChatGPT dann gerne nach. Herausgekommen ist wenig überraschend Kitsch. Fazit: Bis auf Weiteres müssen wir unsere Gedichte wohl noch selbst schreiben!

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