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Immer am Wort

Immer am Wort

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Sophie Reyer liest Gisbert Amms Semper


Dass künstlerische Arbeit auch immer mit der Sehnsucht zu tun hat, etwas Ewiges zu schaffen, etwas, das „immer da“ ist, legt der Titel der neuen Gedichtesammlung von Amm Gisbert nahe: Semper nennt sich diese, und ihr vorangestellt sind bereits poetische Zitate, die Räume aufmachen. So wird eine Textpassage von Leonard Cohen als Eröffnung verwendet, die aus dem Lied „Halleluja“ stammt und folgendermaßen lautet: „There’s a blaze of light in every word“.

Cover © Fabrik Transit

Immer das Bier

Halleluja, da denkt man freilich sofort an Göttliches. Der Ursprung des kreativen Umgangs mit Sprache war ja, nimmt man an, tatsächlich religiös; war an Weihe gekoppelt, an den Versuch, mit dem Tod umzugehen und etwas zu schaffen, das fortbesteht. Doch das Wort „semper“, wie es in diesem Gedichtband verwendet wird, hat mit dem lateinischen „immer“, wie der Leser bald schon enttäuscht feststellen muss, wenig zu tun. Es handelt sich schlicht und ergreifend um Zigaretten, die das mehr oder weniger lyrische Ich für seinen Vater holen muss.

Bring Zigaretten 
mit. Am liebsten Cabinet, 
wenns die nicht gibt, 
F6, wenn sie 
die auch nicht haben – 
Semper

Mit dieser scheinbar banalen Passage läutet Amm Gisbert den Band ein, und gleich muss der Leser, muss die Leserin schmunzeln, wenn es weiter heißt:

Den ganzen Weg entlang
sag ich das fremde Wort
wie einen Zauberspruch.

Dass die Eltern in der Kindheit gottgleich überhöht und ihre Aufforderungen von ihrem Nachwuchs ernster genommen werden als alles andere, haben viele von uns vergessen, doch es braucht nur ein paar einfache Worte, um uns in diesen Zustand der völligen Abhängigkeit und Hörigkeit eines Kindes zurückzuversetzen. Und der Zauberer, der hier mit den magischen Worten spielt, ist niemand anderer als der Dichter Gisbert selbst. In seinen kunstvollen Sprachminiaturen wird Alltägliches zur Poesie, wird Banalität magisch, und es schläft mit einem Mal „ein Lied in allen Dingen“, wie Joseph Freiherr von Eichendorf es vor mehr als 150 Jahren in seinem Gedicht „Wünschelrute“ so schön formuliert hat.

Arbeit mit Rhythmus und Repitution

Liedhaft muten Amm Gisberts Texte auch an, und das, obwohl sie sich einer ganz und gar zeitgemäßen Sprache bedienen und nicht mit Reimen oder klassischer Repetition arbeiten. Vielmehr werden die Worte selbst zerhackt und zu rhythmischen Strukturen umgebaut, wie in etwa im Gedicht „am Bergrand“, in dem es staccatoartig heißt:

heit,
heiter,
heitest du geschwiegen 

In diesem Text werden die Worte außerdem auf ihren Sinn hin abgeklopft und zerlegt und semantische Strukturen ein wenig verfremdet – auch das übrigens in ganz und gar kindlicher Manier: „heitest du geschwiegen“, heißt es da anstatt „hättest du geschwiegen“, was dem Leser, der Leserin erneut ein Schmunzeln abluchst.

Sinnliche Bilder aus frühen und späteren Lebensjahren

Doch nicht nur der Klang der Sprache ist es, mit dem der Autor auf erfrischende Weise umzugehen weiß. Auch die Bilder, die uns in diesem Band begegnen, sind kindlich. Da lesen wir zum Beispiel von kulinarischen Erlebnissen mit Pfannkuchen und Pflaumenmus, wobei Letzterem ein ganzes Gedicht gewidmet ist und man beim Lesen die Fruchtigkeit förmlich schmecken kann. „Pflaumenmus, Erdöl des Pfannkuchens! Folie mach ich aus dir nicht, süße Embolie der Hefeaorta“, lautet der einleitende imposante Schachtelsatz des Poems. Auch die altklugen Formulierungen in dem Gedicht „Jungkommunist ich 1983“ – „Ich wusste alles besser“ – passen zu einem oder einer, sagen wir Achtjährigen. Dass der Autor einiges an Lebenserfahrung gesammelt hat und dabei trotzdem nicht den Humor verloren zu haben scheint, bezeugt nicht nur das Werk, sondern auch seine Biografie.

See Also

Geboren 1965 verbrachte Amm Gisbert seine Kindheit am Gießübel im Thüringer Wald und war dann im Bereich Öffentlichkeitsarbeit am Meininger Theater tätig. Einem Studium der Theaterwissenschaft in Leipzig folgten insgesamt fünfzehn Jahre in Mannheim, Ludwigshafen, Heidelberg und Karlsruhe in verschiedenen Berufen. Amm Gibsert war – man lese und staune – so ziemlich alles schon einmal: Spanplattenleimverkäufer, Bäumegießer, Telegrammbote und Journalist und ab 1998 sogar Softwareentwickler! Das Spielerische hat er sich, wie seine Gedichte beweisen, trotzdem oder vielleicht deshalb bewahrt. So gibt es in Semper sprachstrukturelle Minikompositionen wie etwa das poetische Stückchen „Kleines Reizklima“:

Reizklimchen,
Kleids Riemchen,
Glieds Reimchen,
Ritts Keimchen.

In anderen Gedichten sind die Titel länger als das Gedicht selbst.

Gedicht darüber, dass man glaubt, verliebt zu sein,
in Wirklichkeit aber nur nichts gegessen hat 

Genau

Mit dieser Art von Wechsel oder Abwechslung erzeugt der Autor eine erfrischende und schwungvolle Atmosphäre. Semper ist ein überaus facettenreicher und mit viel Herz und Hirn geschriebener Band.


Amm Gisbert: Semper. Fabrik Transit, Wien, 2023. 120 Seiten, Euro 18,–

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