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Fragebogen: Reinhard Lechner

Fragebogen: Reinhard Lechner

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Die POESIEGALERIE stellt ihren Autor*innen Fragen zum Schreiben
Heute die Antworten von Reinhard Lechner

1. Schreibst du regelmäßig? Zu welchen Zeiten und an welchen Orten?

Ich lebe mit dem Vorsatz, dass ich einmal am Tag schreibe, meist an dessen Randzeiten: frühmorgens oder abends. Häufig funken der Alltag und seine Verpflichtungen dazwischen. Aber auch wenn es nur eine halbe Stunde ist oder ich ein paar Seiten lese: Diese Verpflichtung, Textarbeit ist Pflicht, habe ich mir geschenkt.

2. Ist Schreiben für dich eher Handwerk oder Inspiration? Wie passen diese beiden Pole zusammen?

Wer selbst schreibt, weiß: Es ist beides. Jeder Text braucht und bekommt auch eine Form und einen Inhalt, sobald ich irgendetwas in Versen aufschreibe. Das Fordernde am Schreiben ist mitunter, es gibt nicht das eine Rezept, an welcher Stelle zu beginnen ist und wie beide Pole im Gedicht zu gewichten sind. Die zwei Pole passen im Grunde nicht zusammen, das liegt in ihrem Wesen, in ihrer Gegensätzlichkeit begründet. Aber gerade sie macht den Reiz des Sprachspiels „Dichten“ aus. Ich nähere mich auf zwei Wegen einer fiktiven Aussage: über ihre formale Ordnung und über ihre Ästhetik.

3. Wo findest du deine Themen? Eher in deinem Leben und unterwegs oder in Büchern und Medien?

Ich habe keine bevorzugten und verlässlichen Orte oder Medien für meine Themen. Es ist nicht wie beim Pilzesuchen: Man kehrt genau zu dieser und jener Lichtung zurück, weil dort der Boden am fruchtbarsten ist und die Pfifferlinge einem garantiert entgegenleuchten. Es ist oftmals eher eine irgendwo aufgeschnappte Stimmung als ein Inhalt, die mich zum Schreiben bewegt. Das kann in der U-Bahn sein oder beim Laufen. Beim Schreiben entwickelt sich dann daraus ein Thema. Natürlich kann mich umgekehrt aber auch ein Artikel in der Zeit inspirieren.

Ich für mich habe kein inhaltliches Inspirationsproblem. An die Arbeit gehen und dranbleiben ist das Herausfordernde. Im Grunde kann man über „alles“ schreiben und es ist auch bereits über sehr, sehr vieles geschrieben worden. Wobei andererseits gibts nur drei große Themen: das Leben, die Liebe und den Tod.

4. Welche Bedingungen muss ein gelungenes Gedicht für dich erfüllen? Oder: Wann bist du sicher, dass ein Gedicht fertig ist?  

Dazu müssen Handwerk und Inspiration bis zum Anschlag im Gedicht ausgereizt, erschlossen sein. Und zugleich müssen beide Mittel im Text „verschwinden“, der Text muss ohne den Schlaghammer in ihnen aufgehen.

Ich meine, es gibt ein Zitat von Miles Davis, das lautet so oder so ähnlich: Zuerst eignest du dir alles Wissen über das Trompetenspiel an und übst. Dann vergisst du genau das alles und spielst Trompete.

© Susanne Schäflein

5. Trifft auf dich das Diktum zu, dass Dichter*innen Seismographen ihrer Zeit sind – und wenn ja, inwiefern? Anders gefragt: Siehst du für dich als Dichter*in eine Aufgabe in Bezug auf das gesellschaftliche Ganze?

Das möchte ich über meine Gedichte nicht entscheiden. Es wäre mir auch nicht wichtig – oder besser, nicht vorrangig für mein Schreiben. Bis zu einem gewissen Grad sind aus meiner Sicht alle Dichter*innen Seismografen ihrer Zeit – auch wenn ich nur ein „schlechtes“ Liebes- oder Geburtstagsgedicht schreibe, sage ich mit diesem Text bereits etwas über die gesellschaftlichen Bedingungen, in denen ich lebe. Aber ja, eine gewisse Beschäftigung mit aktueller Sprache und Themen ist automatisch gegeben, sobald man schreibt.

6. Kannst du mit dem Satz „Dichten ist ein brotloser Beruf“ etwas anfangen? Oder besteht in deinem Leben eine Spannung zwischen Schreiben und Einkommen?

Meines Wissens können nicht vielmehr als eine Handvoll Dichterinnen und Dichter in Österreich alleine vom Schreiben leben. Das ist vielleicht gut. Je mehr ich von etwas so Komplexem und Unvorhersehbarem wie der Produktion eines Textes finanziell abhängig bin, desto anstrengender: Das übt Druck aus, färbt auf das Schreiben und die Schreibenden ab. Themenvorgaben, Deadlines und Marktkonformität müssen nicht per se negativ sein. Aber je mehr das Schreiben den Regeln eines Marktes unterworfen ist, desto schwieriger wirds vor allem für die schreibenden Menschen. Zwänge und Verpflichtungen jeder Art sind oft ein Kreativitätskiller.

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Andererseits wünsche ich mir natürlich monetäre Förderungen für uns Schreibende. Auch wenn man einen Brotberuf hat: Honorare, Preise und Stipendien spielen einen immer für eine gewisse Zeit frei von den Pflichten des Alltags. Zeit ist ein wesentliches Gut für die Textproduktion.

7. Welche Autorinnen und Autoren, welche Gedichte haben dich geprägt, fürs Schreiben sowie fürs Leben?

Ingeborg Bachmann und Georg Trakl waren die beiden Dichter*innen, bei denen ich in meiner Gymnasialzeit auf einmal hellhörig wurde. Dezidiert waren dies die beiden Gedichte „Anrufung des großen Bären“ und „Grodek“. So eine intensive Lektüre hatte ich nie zuvor erlebt. Ich fühlte mich sofort hineingezogen und geborgen in diese(n) kleinteiligen Text- und Bildwelten.

8. Woran schreibst du gerade bzw. woran hast du zuletzt geschrieben? 

Aktuelle Themen, mit denen ich mich literarisch beschäftigte, sind KI und Sucht.

9. Gibt es eine Frage, die du dir gerne selbst stellen und beantworten möchtest?

Manchmal frage ich mich, ob ich es leichter hätte, wenn ich nicht schreiben würde. Nach einiger Zeit holt mich dann, wenn ich einmal nicht schreibe, verlässlich eine gewisse Traurigkeit ein.  „Mach es dir nicht zu einfach“, heißt es in einem Gedicht von Michael Krüger.

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